Leben/Gesellschaft

Diese Frau kämpft für die letzten Orang-Utans

Ein großer, rothaariger Affe fasst der blonden Frau vorsichtig an die Nase. Streicht mit den Fingern zart über ihre Augenbrauen. Wenn sie lächelt, lächelt er auch. Sein Blick ist neugierig. Forschend. Weise. "Sie sehen uns an und erkennen uns als Wesen, die ihnen ähneln", sagt Signe Preuschoft.

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Die Primatenforscherin lebt seit zehn Jahren in Borneo, wo sie für "Vier Pfoten" die "Orang-Utan-Akademie" leitet, ein Auffang- und Auswilderungsprojekt für verwaiste Menschenaffen. Davor war sie für das Reha-Programm der Schimpansen in Gänserndorf verantwortlich, die nach 20 Jahren Einzelhaft im Versuchslabor wieder die relative Freiheit eines artgerechten Geheges erfahren sollten. Davor arbeitete sie mit dem legendären Verhaltensforscher und Schimpansenexperten Frans de Waal.

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Sie weiß also, wovon sie spricht. Und begibt sich auf dünnes Eis, da auch ihren berühmten Kolleginnen wie Diane Fossey und Jane Goodall von männlichen Kollegen gerne mal Emotionalisierung und Vermenschlichung vorgeworfen wurden. Preuschoft lässt sich dadurch nicht beunruhigen: "Es ist natürlich eine Arbeitshypothese, eine Interpretation, aber ja: Das Tier sieht uns an, und denkt sich etwas über uns. Das halte ich für sehr wahrscheinlich."

Eine Schule für junge Affen

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In Borneo lehrt sie Orang-Kindern, wie sie sich "affengerecht" verhalten sollen, wie sie später im Dschungel zurechtkommen können. Eine tägliche Gratwanderung: "Orang-Utans haben auch verglichen mit anderen Menschenaffen eine besonders lange, besonders intensive Beziehung zu ihren Müttern. Es dauert bis zu acht Jahre, bevor die Mutter ihr nächstes Kind zur Welt bringt und nicht mehr ausschließlich für das erste Junge da ist. Die Kleinen brauchen Nähe, Sicherheit. Andererseits wollen wir sie aber nicht zu sehr an Menschen gewöhnen. Im Gegenteil, sie sollten ja lernen, Menschen zu meiden", erklärt die Wissenschaftlerin.
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Ein schwieriges Unterfangen. Denn wie Preuschoft betont, brauchen Orang-Kinder sehr nahen Kontakt zu ihren Müttern. Die sind im Normalfall jede Minute des Tages für sie da. Sie trösten, wenn das Kleine sich fürchtet oder sich weh getan hat, sie kitzeln es, bringen es zum Lachen, wenn die Stimmung passt, sie streicheln es und machen neben ihm genau das, was ein Affe eben so tun muss – die richtigen Früchte essen und die giftigen vermeiden, klettern, einen Schlafplatz bauen, Werkzeuge zum Termitenangeln oder zum Öffnen hartschaliger Nahrung benutzen. Und sie lassen ihm Zeit, diese Fähigkeiten nachzumachen, ganz langsam selbst zu erlernen. "Der Begriff Affenliebe trifft für diese Beziehung durchaus zu. Im positiven Sinn", sagt Preuschoft schmunzelnd.
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Wenn die Jungtiere mit neun, zehn Jahren in die Pubertät kommen und außer Sex und Provokation grad nicht viel im Sinn haben, entfernen sie sich aus eigenem Antrieb immer öfter und weiter von ihrer Mutter. Klingt das nicht, abgesehen von den Termiten und den Schlafnestern in 30 Metern Höhe, beinahe nach einer menschlichen Mutter-Kind-Beziehung? "Schön, dass SIE das sagen", sagt die Primatologin, die als Wissenschaftlerin so etwas nicht sagen würde. Und: "Nur, dass diese Beziehung im Normalfall harmonischer ist. Weil Orang-Mütter im Gegensatz zu Menscheneltern nichts von ihren Kindern WOLLEN. Sie reagieren auf ihre Bedürfnisse. Strafen gibt es nicht." Preuschoft hat neben Biologie auch Psychologie studiert.

Verjagt, vertrieben, getötet

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Woher die vielen Orang-Utan-Waisen kommen, die sie zu betreuen hat? "Es ist ein Kampf um Ressourcen", sagt Preuschoft. Ein Kampf, den die Menschen schon mit vielen Tieren, aber auch anderen Menschen ausgefochten haben. Man denke nur an den amerikanischen Kontinent, die Ureinwohner der heutigen USA. Ein ungleicher Kampf, denwirimmergewinnen. Zu einem hohen Preis, der uns leider oft nicht bewusst ist. Seit etwa Palmöl in den 1980er-Jahren als Wundermittel für quasi alles entdeckt wurde, von der cremigsten Schokolade und dem mühelosen Fertiggericht über Reinigungsmittel bis zu Kosmetikprodukten und der Herstellung von Kunststoff, ist die Fläche von Palmöl-Plantagen in Indonesien auf gut drei Millionen Hektar angewachsen. Zu Lasten der Regenwälder, des natürlichen Lebensraumes der Orang-Utans. "Manche Orang-Utans kommen direkt durch die Abholzung oder Brandrodung um. Manche fliehen und sterben in Konflikten mit Rivalen aus anderen Gebieten, in denen dann die Ressourcen knapp werden. Oder sie verhungern. Und manche kommen zurück, fressen inihremalten Wald dann eben die Früchte der Ölpalmen", erklärt Affen-Expertin Preuschoft. Es sind die Kinder der Rückkehrer, mit denen sie es hauptsächlich zu tun hat.
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Denn für Ernteschädlinge gibt es in diesen bitter armen Ländern keine Gnade. Die hungrigen Mütter werden von den Plantagenarbeitern getötet, mit Macheten erschlagen oder in Brand gesetzt – während die Kinder an Schausteller und Zirkusse verkauft, manchmal aus spätem Mitleid von den Familien der Arbeiter "adoptiert" werden. Je jünger diese Orang-Utans waren, je länger sie mit Menschen zusammengelebt haben, desto schwieriger wird die Arbeit für Signe Preuschoft und ihr Team. "Manche fühlen sich eher als Mensch. Sie WOLLEN nicht zurück in einen Wald, wo sie selbst für sich sorgen müssen", sagt Preuschoft und erzählt von Cassey, einem Orang-Mädchen, das nach der Auswilderung unbedingt zurück in seinen Käfig wollte und auch Wochen später immer wieder beim Lager auftauchte, Wäsche von der Leine nahm – und zusammenlegte! Ein Verhalten, das sie wohl selbst beruhigte, weil sie es von ihrem früheren Besitzer gelernt hatte. Mit dem sie hoffte, sich beliebt machen zu können.Schau, ich bin da, ich bin brav, lass mich bleiben …

Können wir sie retten?

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Von unseren rothaarigen Verwandten, die früher in China, Thailand, Vietnam und Java zu finden waren, gibt es gerade noch 64.000, 14.000 davon auf Sumatra. In ihrem so informativen wie bewegenden neuen Buch "Meine wilden Kinder" beschreibt Signe Preuschoft eindrücklich die Bedrohung, der diese Lebewesen ausgesetzt sind – aber auch die Möglichkeiten, die wir haben, um sie zu retten. Und wie sehr es sich lohnt, unsere Verwandten zu beobachten, sie zu beschützen – und vielleicht sogar von ihnen zu lernen. Die Psychologin, Biologin und Verhaltensforscherin weiß, wovon sie spricht. Und schreibt. "Kann es für eine Spezies, die im Weltraum nach unbekanntem Leben sucht, wirklich derart schwierig sein, auch nur den Entschluss zu fassen, ihre eigene Verwandtschaft am Leben zu lassen?"

Eine Frage, über die wir nachdenken sollten.

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