Leben/Gesellschaft

50 Jahre Gastarbeiter in Österreich

Die beiden türkisch-stämmigen Führerinnen schlendern über die Wattgasse in Wien Hernals, als würde sie ihnen gehören. Was in gewisser Weise auch stimmt. Der Opa von Kübra Atasoy, eine der beiden Führerinnen, hat das Nachkriegswien miterrichtet, auf Baustellen in der ganzen Stadt – wenn auch zum halben Lohn eines Österreichers. Gelebt hat Fazli Aktaş hier in der Hernalser Vorstadt, in Zinshäusern, vor deren feuchten Substandardwohnungen es den nachkommenden Frauen grauste. Atasoy: "Das waren zum Teil Bäuerinnen, die daheim wahrlich nicht an Luxus gewöhnt waren. Die waren schockiert in was für Löcher sie hier einziehen mussten."

30 Interviews und damit 30 Lebensgeschichten von Gastarbeitern der ersten Generation haben Atasoy und Handan Özbaş für eine Ausstellung zusammengetragen, die heute eröffnet wird. Zusätzlich bieten die beiden geführte Rundgänge zu den Häusern und Arbeitsstätten der einstigen Neuankömmlinge an.

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Das Leben der anderen

Bis jetzt hat noch keiner gefragt, wie es Sülvet Aktaş ergangen ist, als sie 1965 als Analphabetin ihrem Mann ins Ausland gefolgt ist. "Mit achtzehn Personen haben wir in einem Raum geschlafen. Darunter waren Jugoslawen, Türken, Ausländer aus der ganzen Welt." Sie erzählt, dass sie, die kaum Deutsch konnte, vom Portier nicht zu ihrem Mann vorgelassen wurde, als der mit gebrochenem Bein im Krankenhaus lag. "Ich wollte ihn nur fünf Minuten sehen."

Sozialhistoriker Joachim Hainzl vergleicht die Ankunft der Gastarbeiter in Österreich mit einem Schlaganfall, "danach muss man alles neu lernen. Etliche der Gastarbeiterinnen haben erzählt, wie sie sich elend gefühlt haben, weil sie nicht einmal wussten, was Salz heißt". Die in Österreich gern und oft erhobene Forderung, "die" sollten Deutsch lernen, war für die Gastarbeiter der ersten Stunde nicht erfüllbar. "Manche Betriebe haben Kurse in den Pausen angeboten, aber wie effizient ist das?", ärgert sich Atasoy nachträglich.

Der schwarze Zug

Der gelernte Friseur Fazil Aktaş stieg 1964 als einer von 1000 Gastarbeitern am Bahnhof Istanbul-Sirkeci in einen schwarzen Zug nach "Avusturya". Er sei sich in Österreich vorgekommen, "als ob uns jemand aus einer Mülltonne ausgeschüttet hätte". Es sei merkwürdig gewesen, dass sie weder Leiter noch Vorsteher noch Mentor hatten,"keiner hat sich um uns gekümmert". Geblieben sei er, um seinen Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Sülvet resümiert: "Ich habe mich nach der Türkei gesehnt. Meine Kinder sind dort gewesen, deshalb habe ich Heimweh gehabt. Ich habe mich hier nicht eingewöhnen können. Aber seit fast 50 Jahren leben wir hier, wir sind geblieben. Ich habe mein Leben nie genießen können. Ich bin aus Armut zugewandert." Und was war/ist schön an Österreich? Enkelin Kübra: "Die Bruchschokolade von Manner lieben meine Großeltern bis heute."

Ausstellungstipp: "Avusturya! Österreich!" 50 Jahre türkische Gastarbeit in Österreich. Museum für Volkskunde, Wien 8, Laudongasse 15–19, bis 28.9.