Zum 100. Geburtstag: "Pepi" Meinrad und der Ifflandring
Als ich ihn im Oktober 1995 in seinem Haus in Großgmain bei Salzburg besuchte, wirkte er sehr geschwächt, und doch hätte ich nicht gedacht, dass es das letzte Interview seines Lebens sein sollte. „Pepi“ Meinrad, wie die Nation ihn nannte, hatte die großen Nestroy- und Raimund-Rollen gespielt und zahlreiche Filme gedreht. Als Träger des Ifflandrings galt er als bedeutendster Schauspieler des deutschen Sprachraums.
7228 Auftritte
Vor ihm, auf dem Tisch im Wohnzimmer, lag ein altes Heftchen, das der 82-jährige Mime seit Kindertagen geführt und in dem er jede einzelne Vorstellung aufgelistet hatte. 7228 Mal war er auf der Bühne gestanden, erstmals 1923 mit zehn Jahren in „Wilhelm-Tell“, noch als Volksschüler. Und am 16. Februar 1988 das letzte Mal.
Josef Moučka, wie er eigentlich hieß, war am 21. April 1913 als Sohn eines Straßenbahners und einer Milchfrau in Wien-Hernals zur Welt gekommen. Auf Wunsch der Mutter besuchte er eine Klosterschule, danach sollte er Priester werden. Doch als er sich mit 14 verliebte, wusste er, dass er für ein zölibatäres Leben nicht geeignet war. „Die Mutter war deprimiert, aber sie akzeptierte es.“ Der „Pepi“ wurde Lehrling in einer Lackfabrik und absolvierte nebenbei eine Schauspielschule.
Nur einmal Alkohol
Der Alkohol war in Arbeiterkreisen ein großes Problem, also wurde er Mitglied eines Abstinenzvereins. Tatsächlich hat er in seinem Leben keinen Tropfen Alkohol angerührt. „Bis auf einmal“, lachte er, „denn die Wahl eines neuen Vorsitzenden des Hernalser Abstinenzvereins wurde mit viel Wein begossen.“
35 Groschen Gage
Anfangs spielte Meinrad für 35 Groschen Abendgage auf Kleinkunstbühnen, „so viel hat ein Straßenbahnfahrschein gekostet“. Man glaubt es kaum, dass der Schauspieler damals Sprachschwierigkeiten hatte. Lange drang sein „Hernalserisch“ durch.
„Mit 24 war ich noch so arm“, erzählte er weiter, „dass ich zu Fuß von Wien nach Paris ging, um die Weltausstellung zu sehen.“ Frankreich wurde ihm zum Schicksal, denn er verliebte sich, als er im Fronttheater in Metz auftrat, in die Französin Germaine Clement, mit der er dann 45 Jahre verheiratet war.
Als der große Mime Werner Krauß 1959 starb, hinterließ er Meinrad, der mittlerweile Mitglied des Burgtheaters war, den Ifflandring und damit die höchste Auszeichnung, die einem Schauspieler widerfahren kann. Das prominente Erbe sorgte für Aufsehen, „aber am meisten wunderte ich mich selbst“, sagte Meinrad, „weil damals niemand außerhalb Wiens meinen Namen kannte“.
Oskar Werner soll sich nie von dem Schock erholt haben, dass nicht er, sondern Meinrad den „Ring der Ringe“ erhielt. Er empfand den „Entzug“ durch Werner Krauß als Verrat und sagte noch Jahre später voll Bitterkeit: „Sollte ich mir je einen Rolls-Royce kaufen, dann habe ich mein Talent verloren.“
Der Satz war eindeutig gegen den sonst als Inbegriff der Bescheidenheit geltenden Rolls-Royce-Fahrer Josef Meinrad gerichtet. Und die Limousine stand, als ich ihn in Großgmain besuchte, mitten im riesigen Wohnsalon (!) – was nicht einer gewissen Komik entbehrte. Meinrads Kollegin Adrienne Gessner hatte gemeint: „Seit der Pepi den Rolls-Royce hat, ist er noch bescheidener gewordenen.“ Jetzt, da er den Wagen nicht mehr fahren konnte, wollte er ihn wenigstens in seiner Nähe haben.
„Mein Rat ist...“
Kaum war Meinrad Ifflandringträger, hielten sich böse Gerüchte, die „belegen“ sollten, dass ihm die Ehre irrtümlich zuteil geworden sei: Als Werner Krauß auf dem Totenbett gefragt wurde, wer nach ihm den Ring erhalten sollte, röchelte der sterbende Star mit letzter Kraft: „Mein Rat ist . . .“ – doch ehe er den Namen nennen konnte, war sein Leben ausgehaucht. Es blieb als letzter Wunsch: „Mein Rat“ – und so bekam Meinrad den Ring.
Der letzte Wunsch
Anekdoten müssen nicht immer wahr sein. Dieser Fall beweist es, denn Krauß hatte schon fünf Jahre vor seinem Tod schriftlich deponiert: „Ich wünsche, dass Josef Meinrad nach meinem Tode den Ifflandring erhält.“
„Es ist der teuerste Ring der Welt“, erklärte mir Meinrad, „da ich von da an keine seichten Filmrollen mehr annehmen konnte.“ Er wirkte bis dahin in 35 Filmen mit, so auch als Adjutant der Kaiserin Elisabeth in den „Sissi“-Filmen mit Romy Schneider.
Als Mönch zu teuer
Pfarrer, wie seine Mutter es gewollt hatte, ist er keiner geworden, aber er hat zahlreiche Geistliche gespielt, in einem Film von Otto Preminger den Kardinal Innitzer. „So weit hätte ich es sicher nie gebracht, wenn ich wirklich Priester geworden wäre“, sagte er. Als einmal ein Abt meinte, er hätte „gern einen Mitbruder wie Josef Meinrad im Orden“, erklärte der – im langwierigen Verhandeln von Gagen mit dem Ifflandringträger sehr erfahrene – Chef der Bundestheaterverwaltung: „Ich fürchte, Hochwürden, Sie werden ihn sich nicht leisten können.“
Josef Meinrad spielte, so lange er konnte, „bis er eines Abends heimkam und sagte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben auf den Souffleur hören musste“, erinnerte sich Ehefrau Germaine an jenen Tag im Jahr 1988, an dem er mit dem Theaterspielen aufhörte. „Leicht ist es mir nicht gefallen“, gestand er. Ein paar Fernsehrollen noch, und danach zog er sich ganz zurück.
Josef Meinrad starb am 18. Februar 1996, vier Monate nach meinem Besuch in Großgmain, im 83. Lebensjahr. Seine Frau überlebte ihn um zehn Jahre.
Geheimhaltung
Da Meinrad laut Statuten den Namen seines Nachfolgers als Träger des Ifflandrings nicht verraten durfte, setzte nach seinem Tod das große Nachfolgespiel ein. In den Medien wurden als künftige Träger genannt: Helmuth Lohner, Gert Voss, Will Quadflieg, Klaus Maria Brandauer, Karlheinz Hackl, Michael Heltau, Erwin Steinhauer, Otto Schenk, Robert Meyer...
Am 28. Februar 1996 wurde bekannt gegeben, wem Meinrad den Ring hinterlassen hatte. Die Überraschung war groß, denn er hatte Bruno Ganz nominiert.
Und damit den Einzigen unter all den Großen, der in den Medien nicht genannt worden war.
AUSSTELLUNG: „Josef Meinrad, der ideale Österreicher“, ab 17. April in der Wienbibliothek Wien.
THEATER-TIPP: „100 Jahre Josef Meinrad“, Donnerstag, 25. April, 17 Uhr: Zweites Pausenfoyer des Burgtheaters. Mit Regina Fritsch, Maria Happel, Sylvia Lukan, Robert Meyer, Lotte Ledl.
TV-TIPP: ORF III zeigt am 12. April "Der Verschwender" (siehe Bild) und am 26. April in Gedenken an den Doyen der österreichischen Schauspielkunst die Komödie "Was ihr wollt". 22.45 Uhr, ORF III,