Licht-Stelen erinnern als Pin-Nadeln an die Reichspogromnacht
Von Thomas Trenkler
In der Nacht auf den 10. November 2018 wurde das größte und auch mutigste Projekt von Kunst im öffentlichen Raum in Wien feierlich eingeweiht: Zunächst 24, jetzt 25 Licht-Stelen erinnern seither an Synagogen und Bethäuser, die 80 Jahre zuvor, in der Reichspogromnacht, zerstört wurden. Am erstaunlichsten ist das Alter des Künstlers, der die weithin sichtbaren Mahnmäler gestaltete: Lukas Maria Kaufmann wurde 1993 in Klagenfurt geboren.
Er habe, erzählt Kaufmann, einen kreativen Background, aber nicht explizit im künstlerischen Bereich: „Meine Mutter ist Schneiderin – und mein Vater leitet einen Betrieb für Raumplanung. Ich ging ins BRG Viktring, ein Realgymnasium, das einen Schwerpunkt auf bildnerische Erziehung hat. Das war schon eine prägende Zeit, ich habe sehr viel Akt gezeichnet.“ Bereits mit 16 Jahren bewarb sich Kaufmann an der Universität für angewandte Kunst für die Malereiklasse von Judith Eisler. „Ich hätte mir vorstellen können, die Schule abzubrechen. Aber meine Eltern war nicht begeistert. Also habe ich Matura gemacht.“ Und dann entschloss er sich anders: Kaufmann begann an der TU Wien Architektur zu studieren. Bereits im dritten Semester verpflichtete Christine Hohenbüchler, Professorin am Institut Kunst und Gestaltung, ihn als Tutor. Was dazu führte, dass Kaufmann 2013 das Architekturstudium abbrach, um sich ganz der Kunst zu widmen.
Das Licht als Medium
Sein neues Ziel war die von Brigitte Kowanz geleitete Klasse für Transmediale Kunst: „Diese Klasse ist sehr attraktiv für junge Menschen, die verschiedene Medien ausprobieren möchten. Ich war mir damals nicht ganz sicher, was ich machen wollte. Aber wer sich, wie Brigitte, mit dem Licht als Medium beschäftigt, der müsste mit dem, was mir vorschwebte, etwas anfangen können.“ So war es auch. Kaufmann bewarb sich mit assoziativen Collagen, die von der Fläche ins Objekthafte gingen. „Sie bestanden aus digitalem Fotomaterial, das ich im Netz gefunden hatte und auf verschiedene Oberflächen und Materialien druckte. Es ging also um das Bild – und den Bildträger. Brigitte hat mich, glaube ich, gerne aufgenommen.“ In der zweiten Hälfte des Jahres 2016 passierte etwas Entscheidendes: Das Jüdische Museum Wien (JMW) lieferte mit der Ausstellung „Wiener Synagogen. Ein Memory“ eine Bestandsaufnahme der ehemals etwa 100 Bethäuser und Tempel, darunter die Storchen- und die Kaschlschul, der Jubiläums- und der Müllnertempel, die Spitals- und die Vereinssynagoge. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten die Nationalsozialisten ihren Aggressionen freien Lauf gelassen: Im gesamten Deutschen Reich (inklusive Österreich und dem Sudetenland) wurden jüdische Einrichtungen verwüstet, ausgeraubt, zerstört und in Brand gesteckt. Viel Glas ging in Bruch. Und die Feuerwehr erhielt den Befehl, in das Spektakel, von den Nazis als „Reichskristallnacht“ glorifiziert, nicht einzugreifen. Die meisten Synagogen brannten bis auf die Grundmauern nieder.
Einer Besucherin der Ausstellung, Maria Graf, fiel auf, dass es an vielen der ehemaligen Standorte keinen Hinweis auf die Ereignisse des Novembers 1938 gibt, und schlug ein Zeichen vor. Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums, war sogleich begeistert. Auf ihre Initiative hin war im Herbst 2011 an der Fassade des Standortes Palais Eskeles eine Lichtinstallation von Kowanz – das Wort „Museum“ in Hebräisch – angebracht worden. Spera wandte sich also wieder an die Künstlerin.
Und so kam es, dass Kowanz im Wintersemester 2016/’17 eine Lehrveranstaltung anbot, in der sich die Studierenden und Assistenten mit 25 vom JMW ausgesuchten Standorten beschäftigten. In der Folge wurde ein zweistufiger Wettbewerb ausgelobt, den Lukas Maria Kaufmann mit seinem Projekt „OT“ für sich entschieden hat. Das hebräische Wort bedeutet „Symbol“ oder „Zeichen“.
Von weitem sichtbar
„Es gab die Vorgabe, Licht als Material zu verwenden. Zudem, dass alle 25 Orte mitzubedenken waren. Und natürlich war klar, dass es nur ein beschränktes Budget geben konnte“, erklärt Kaufmann. „Ich habe mir bereits in der Frühphase weitere Auflagen gegeben: Ich wollte nicht an die Gebäude, die nach dem Krieg statt der Synagogen und Bethäuser errichtet wurden, andocken; es – was auch immer es war – sollte freistehend sein. Man sollte es nicht nur an Ort und Stelle sehen, es sollte schon von weitem sichtbar sein – als Markierung. Und es sollte, um Vandalismus vorzubeugen, möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Vielleicht kamen mir meine Jahre des Architekturstudiums zugute – weil ich sehr praktisch an die Sache heranging.“
Erst danach begann für ihn die Phase, in der er sich mit jüdischer Mystik und Symbolwelt auseinandergesetzte: „Mir wurde bald klar, dass ich nicht mit Codierung arbeiten wollte, die nur mit Vorkenntnissen entziffert werden kann.“ Daher schieden zum Beispiel hebräische Schriftzeichen aus. „So kam ich zum Symbol des Davidsterns. Ich unterzog ihn der formalen Transformation: Von der Ferne sieht man eine wirre Struktur. Erst durch das Näherkommen entwirrt sie sich – und wird, wenn man direkt darunter steht, quasi zum zweidimensionalen Zeichen.“
Respektvoller Umgang
Und dann kam die wirkliche Herausforderung, die Realisierungsphase. Denn der technische und behördliche Aufwand war enorm, jeder Standort barg andere Probleme. „Das Team des JMW half mir sehr. Es war wirklich super, mit Katharina Lischka zusammenzuarbeiten. Und als dann Zumtobel zusicherte, dass mein Leuchtobjekt im finanziellen Rahmen realisierbar ist, war ich beruhigt.“
Kaufmann bestimmte jeweils den genauen Aufstellungsort der Stelen: „Wir haben das Objekt immer auf der Straßenseite realisiert, auf der sich die Synagoge oder das Gebetshaus befunden hatte. Wie eine Pin-Nadel. Jedes brauchte ein Fundament und einen Stromanschluss.“
Es musste daher mit mehreren Magistratsabteilungen verhandelt werden. „Die MA33 – sie ist für die Straßenbeleuchtung zuständig – war sehr kooperativ. Ohne sie wäre gar nichts gegangen. Wichtige Partner waren auch die MA46 und die MA43.“
Manche Bezirksvorsteher hatten Bedenken wegen der Lichtverschmutzung: „Wir haben daher darauf geachtet, dass das Objekt nicht vor dem Fenster eines Wohnraums steht, sondern zum Beispiel vor einem Bad- oder Gangfenster.“ Zudem wurde für jedes Objekt mit einem Dimmer die passende Lichtstärke gefunden. Protest von Bewohnern hätte es nicht gegeben – außer in Hietzing. Denn dort sollte die Stele nicht vor einem Gemeindebau, sondern einem Privathaus errichtet werden.
Die Zustimmung erteilte die Bezirksvorsteherin und die dortige Kulturkommission erst nach langem Verhandeln für die gegenüberliegende Straßenseite unmittelbar neben einem bereits bestehenden Mahnmal von Hans Kupelwieser: „Es gab den Wunsch, die beiden Objekte zusammenzufassen – zu einem Moment des Gedenkens. Sie stehen nun etwas verloren nebeneinander: Sie wissen nicht so genau, was sie miteinander anfangen sollen.“
Aber immerhin: „Wir haben alle 25 Standorte realisieren können.“ Die permanente Lichtinstallation ist aus Stahl ausgeführt, die Stele kann also höchstens besprayt oder beschmiert werden. Und weil das Zeichen, der Davidstern, fünf Meter über der Erde „schwebt“, ist es auch nicht so einfach, ihn zu demolieren. Doch die Sorgen waren bisher unbegründet: „Es gab noch keine Zerstörungen, der Umgang war bisher sehr respektvoll.“ Kaufmann mag jene Standorte am liebsten, wo die tristesten Nachkriegsbauten stehen, denn da seien die Kontraste am stärksten. „Die Neudeggergasse im 8. Bezirk ist eine sehr intakte Biedermeierstraße mit einem schönen Altbauensemble. Es gibt nur ein Gebäude, das ein bisschen zurückspringt und damit die Fehlstelle bezeichnet, eben der Gemeindewohnbau aus den 50er-Jahren.“
Derzeit ist Kaufmann Lehrbeauftragter an der TU – er unterrichtet Freihandzeichnen – und Assistent in der Kunstsammlung der Angewandten. Zudem betätigt er sich als Ausstellungskurator. Im Wintersemester 2019/20 will Kaufmann das Studium abgeschlossen haben. Er arbeitet gerade an seiner Diplomarbeit: „Mich interessiert die minimale dritte Dimension, also die Frage, wo das Bild zum Objekt wird – und umgekehrt.“