Kultur/Zugabe

Interview mit Paul Stanley über die letzte Tour von Kiss

Gene Simmons spuckt Blut und Feuer, lässt die lange Zunge tanzen und bearbeitet mit ihr die Saiten seines Basses. Paul Stanley fliegt durch die Luft, um für zwei Songs auf einem Schwebepodest am Ende der Halle in die Gitarrensaiten zu hacken. Es gibt Rauch, Explosionen, Funkenschleier und Feuerfontänen: Kiss sind derzeit auf ihrer „End Of The Road“-Abschieds-Tour, die am 29. Mai auch in der Wiener Stadthalle zu sehen sein wird.

Bevor sie in Pension gehen, wollen die beiden Chefs der seit 45 Jahren dienenden Band mit dieser Show „die beste Party“ liefern. Denn: „Wenn man weiß, dass es enden muss, will man mit einem Knalleffekt aufhören!“

KURIER: Warum muss das Tourleben von Kiss enden? Der acht Jahre ältere Mick Jagger steht noch immer auf der Bühne . . .

Paul Stanley: Wenn ich wie Jagger auf der Bühne auch nur in Jeans und Sportschuhen rumlaufen würde, könnte ich das auch bis in meine 90er-Jahre machen. Aber wir sind eben nicht wie jede andere Band und tragen auf der Bühne 20-Kilo-Kostüme. Damit eine Show zu liefern, die den Standard hat, den wir liefern wollen, ist harte Arbeit. Und es zeigen sich schon körperliche Auswirkungen davon. Ich hatte wegen der Plateausohlen schon Knie- und Hüft-OPs. Deshalb haben Gene und ich während der letzten Tour darüber gesprochen und gesagt: Wir sind in der glücklichen Lage, uns für eine letzte Tour entscheiden zu können, also lass uns das machen. Und lass es uns grandios machen: Drehen wir eine letzte triumphale Ehrenrunde, bei der wir mit den Fans feiern, was wir kreiert haben. Nur das ist ein Finale, das der Kiss- Karriere würdig ist.

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Gene Simmons sagte, dass er sich vorstellen kann, dass Kiss mit anderen Mitgliedern, die in Ihre Kostüme und Charaktere schlüpfen, weiterbestehen könnte – wie ein Fußballteam, bei dem auch die Spieler ausgetauscht werden, wenn sie zu alt sind. Wie stehen Sie dazu?

Einem Teil dieses Konzeptes pflichte ich definitiv bei. Denn dass die Band größer ist als ihre einzelnen Mitglieder, haben wir schon bewiesen, und ich würde nicht ausschließen, dass Kiss irgendwann so weiterbesteht. Allerdings ist die „End Of The Raod“-Tour so ein gewaltiges Unternehmen, dass wir noch keine Sekunde über das gesprochen haben, was danach kommt.

Der Beweis, auf den Sie anspielen, war, dass Sie die Gründungsmitglieder Gitarrist Ace Frehley und Drummer Peter Criss durch Tommy Thayer beziehungsweise Eric Singer ersetzt haben. Die Streitereien zwischen Gene und Ace über die Gründe  dafür flammen auch heute noch immer wieder  in den Medien auf. Gibt es trotzdem eine Chance auf ein letztes Konzert mit  ihnen?

Ich habe eine offene Einladung für jeden parat, irgendwann in irgendeiner Art teilzunehmen. Andererseits sind wir seit 18 Jahren mit dem Line-Up mit Tommy und Eric unterwegs. Das ist eine stabile, essenzielle Besetzung. Zu denken, dass wir das  damit beenden, dass wir eine Reunion mit den anderen haben, würde bedeuten, in der Vergangenheit zu leben. Wir wissen auch noch gar nicht, wann und wo das letzte Konzert stattfinden wird. Die „End Of The Road“-Tour ist im Moment noch unbefristet, und wir werden zumindest noch 2020 damit unterwegs sein.

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Sie sagen, Ihr Verhältnis zu Gene Simmons ist heute besser denn je. Wann und warum war es angespannt?
Na ja, ich meine, du kannst deinen Bruder lieben und trotzdem  nicht einer Meinung mit ihm sein. Er kann dich trotzdem  wahnsinnig machen. Als ich ihn traf, mochte ich Gene gar nicht, weil er überheblich und egoistisch war.  Obwohl er das immer noch ist, können wir jetzt schätzen, was wir aneinander haben, und das Negative ist verblasst. Wir haben auch die gleiche Mentalität und die gleiche Arbeitsethik, was es sehr, sehr angenehm macht, miteinander zu arbeiten.

Gene sagt, dass er nie Alkohol trinkt oder Drogen nimmt, was damals das Problem mit Ace Frehley und Peter Criss war. Ist es das, was Sie mit Arbeitsethik meinen?
Ich meine damit, dass man  stolz darauf ist, gute Arbeit zu machen, und dass man verlässlich ist. Dass man im Umgang mit anderen Leuten am  Boden bleibt, Grenzen erkennt und Möglichkeiten schätzt. Natürlich inkludiert verlässlich sein, dass man nicht auf Drogen oder voll betrunken ist. Das ist eine Einbahnstraße, die dich und deine Kreativität umbringt. Ich selbst liebe ein Glas Wein oder einen Cocktail, aber ich kenne meine Grenze und weiß, ab wann es mich  negativ beeinflusst – sowohl im Sozialen als auch in der Kreativität.

Sie sind  auch als Maler tätig und lieben kräftige Farben.Sind Sie ein Fan der Expressionisten?
Ja, ich liebe die expressionistische Kunst, sie ist fabelhaft. Farbe bedeutet für mich Leben. Und je pulsierender dein Leben ist, desto pulsierender sollte dein künstlerischer Ausdruck davon sein. Ich kann total in der Malerei aufgehen und arbeite  fünf Tage pro Woche in meinem Atelier, wenn ich zu Hause bin. Und ich bin dabei sehr erfolgreich: Die meisten Bilder sind verkauft, bevor sie fertig sind.

Sie waren mit Kiss schon bisher sehr oft in Wien. Was ist Ihre liebste Erinnerung an unsere Hauptstadt?
Wir waren wirklich sehr oft bei euch. Zum Glück nicht noch öfter, denn dann wäre ich viel fetter. Diese tollen Kuchen, die ihr habt, das Wiener Schnitzel, aber auch die Würste, die man überall in den Straßen kaufen kann. Wien ist das Disneyland des Essens!