Kultur

Wer schafft was in den Sozialsiedlungen von London?

So ist das also: Als aufrechter Engländer kann man nur zwei Sätze akzeptieren.

Erster Satz: Ich nehme Antibiotika.

Zweiter Satz: Ich bin Alkoholiker.

London N-W“: Das ist die Gegend im Nordwesten der Stadt, ein „Multiversum“ mit verwahrlosten Hochhäusern für die Einwanderer; aber schon auch mit Einwohnern, die „es geschafft haben“.

Was geschafft? würde Zadie Smith wohl sofort fragen. Familie und Kinder halt. Und sie haben es geschafft, in Angst davor zu leben, dass ihnen jemand ihr Geld wegnimmt.

Na toll, würde Zadie Smith vermutlich dazu sagen.

Hier, Postleitzahl London N-W, Kilburn Road, ist sie aufgewachsen. Sie ist Jahrgang 1975 – die Mutter Jamaikanerin, der Vater Engländer. Zadie Smith ist aufgewachsen, indem sie gelesen hat und gelesen. Mit ihrem Debütroman „Zähne zeigen“ (2000) übers Miteinander der Kulturen wurde sie zur weltberühmten Erzählerin.

Zuletzt war es sieben Jahre ruhig um sie gewesen, Zadie Smith bekam zwei Kinder und unterrichtete Literatur an der New York University.

Ihr Thema ist auch im vierten Roman der Zusammenprall der Gesellschaftsschichten geblieben, ihr Stil hat sich geändert. Das entzweit die Kritiker.

Leerstellen

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In „London N-W“ variiert sie den Ton. Meist (aber nicht immer) hetzt sie, lässt Satzzeichen und Wörter aus. Sie splittert den Roman auf. zertrümmert ihn an manchen Stellen und fügt alles am Ende (zu) dramatisch zusammen.

Immer wieder entstehen Leerstellen, die nicht jeder Leser zu füllen bereit ist.

Wir schauen und hören zwei Frauen zu. Beide sind Mitte 30 und haben es geschafft. Die eine besonders: Sie ist erfolgreiche Anwältin geworden und hat ihren Vornamen Keisha in Natalie umgeändert. Das sagt alles über ihren Umgang mit der Vergangenheit als Tochter afrikanischer Flüchtlinge.

Ihr Mann ist Banker. Zwei Kinder stören sie, aber gehören dazu ... Der Mann stört zusehends auch.

Ihre Freundin von Kindertagen an heißt Leah, sie ist weiß und Sozialarbeiterin und stellt sich selbst ruhig, traumlos ruhig. Ihr schöner algerischer Mann möchte Kinder, sie nimmt heimlich die Pille. Also auch gescheitert irgendwie.

Und zwei Männer spielen mit, bei denen eindeutiger ist, dass sie’s verpatzt haben. Der eine war einst ein begabter Fußballspieler, jetzt ist er Dealer und Zuhälter. Der andere wollte eigentlich Filmregisseur werden ...

Ein Sprachkunstwerk mit klarer Aussage: Ob arm oder reich – man könnte es wirklich schaffen vielleicht, aber tut es nicht.

KURIER-Wertung: