Kultur

Wo man in Paris die falsche Haut abstreifen konnte

Im Pariser Club Le Monocle – er bekam in "Die Liebenden im Chamäleon Club" einen anderen Namen – hatten die Gäste ihre falsche Haut abstreifen können.

Die einen ließen die Hosen runter.

Die anderen zogen die Hosen an.

Soll heißen: Männer wurden Frauen, und Frauen wurden Männer. Konnte durchaus sein, dass eine arme Amerikanerin als deutscher Bankier auftrat, und alle hatten etwas davon. Gut war’s (bevor die Nazis da waren).

Und gut ist es, dass es der New Yorkerin Francine Prose gelingt, diese verrauchte, verruchte Atmosphäre kurz zurückzuholen. Man erfährt sogar das Kennwort, um die Tür geöffnet zu bekommen: "Aufmachen, Polizei!"

Das finden alle komisch.

Als Mäuschen (oder so ähnlich) bleibt man auch dann im Club, wenn die Angestellten nach Feierabend die angebrochenen Weinflaschen der Gäste leeren.

Von diesem Paris der 1920er-, 1930er-, 1940er-Jahre lässt die Autorin abwechselnd drei, vier, fünf Personen erzählen. Sie tun es in Briefen, in Zeitungsberichten, in dem Versuch einer Biografie. Z.B. ein Fotograf, der dem berühmten Brassaï nachempfunden ist – früher Meister der Fotografie bei Nacht.

Z. B. ein Schriftsteller, der ein ähnlicher Kotzbrocken ist, wie es Henry Miller gewesen sein dürfte.

Weil aber nicht allein die Pariser Luft im Mittelpunkt steht, sondern Violette Morris, wäre eine ruhigere, geradlinige Erzählung wünschenswerter gewesen.

Man hätte sich mehr auf das Warum konzentrieren können.

Brust stört

Als Kugelstoßerin, Speerwerferin, als Boxerin und Rennfahrerin war die Französin Klasse. Die Brüste ließ sie sich wegnehmen, weil sie störten. Wegen ihrer sexuellen Ausrichtung ("ungesund") entzog ihr der Staat die Lizenz für sämtliche Sportarten.

Hitler lud sie zu den Olympischen Spielen nach Berlin ein – und danach half sie den Nazis, Frankreich zu besetzen. Für die Gestapo folterte sie Landsleute. Widerstandskämpfer erschossen sie.

Dabei hatte Violette Morris Nationalheldin Jeanne d’Arc so geliebt.

Liebe ist sonderbar.


Francine Prose:

„Die
Liebenden im Chamäleon Club“
Übersetzt von Susanne Aeckerle.
Verlag C. Bertelsmann.
544 Seiten.
23,70 Euro.