Kultur/Wiener Festwochen

Opus magnum, Opus gaga

Wir stehen noch am Beginn des sechsstündigen Kinoabends, das Spanferkel mit dem vergoldeten Anus brutzelt noch am Grill, und der große Klumpen, der wie ein Beuys’scher Fettbatzen im Wohn- und Lesezimmer steht, ist noch nicht mit Urin besudelt worden.

Hier also, im (nachgebauten) Wohnzimmer Norman Mailers, wird der Tod des Schriftstellers von Freunden betrauert. Einer der Gäste sagt dabei: "Norman war der Erste, der von sich sagte, dass er der Größte ist. Heute macht das ja jeder."

Hier finden wir eine Spur zu jenem Künstlerverständnis, das auch "River of Fundament", dem bisher ambitioniertesten Werk des hoch gehandelten US-Künstlers Matthew Barney, zugrunde liegt: Der 2007 verstorbene Norman Mailer hatte – ebenso wie Ernest Hemingway, der zweite Schutzheilige dieses Films – verstanden, dass es Heldenmut und ein großes Ego braucht, um Amerika mit seiner Weite, Härte und auch Trostlosigkeit gültige Kunst abzuringen. Ich und mein Opus magnum – das musste etwas sein, an dem man nicht vorbeikonnte.

Griff ins Klo

Mailer sah das 1983 erschienene Buch "Ancient Evenings" (deutsch "Frühe Nächte") als sein wichtigstes Werk, sehr viele Kritiker sahen es dagegen als Griff ins Klo. Just von diesem Werk hat sich Barney, der schon früher gern auf Mailer Bezug nahm, inspirieren lassen.

Darin liegt ein Problem: Denn die Erzählung über Tod und Wiedergeburt, die Mailer im alten Ägypten ansiedelte, wirkt in Barneys Re-Inszenierung aufgesetzt.

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Bei all seiner sonderbaren Bebilderung – die Seelenwanderer müssen etwa einen Fluss aus Fäkalien durchschwimmen – wirkt die mythische Rahmenhandlung weniger als Notwendigkeit denn als Hilfsanker, um dem Geschehen Tiefe und Größe zu verleihen.

Barney, der sich selbst eher als Bildhauer denn als Filmemacher bezeichnet, findet in Mailers Reinkarnationsepos freilich Grundlagen für jene Metamorphosen, die er immer wieder mächtig zu bebildern weiß: Auch in "River of Fundament" wird in großem Stil geschüttet, geschmolzen, geformt und gegossen – wo ein Hermann Nitsch zum Plastikkübel greift, fährt Barney mit Hochöfen, Abbruchmaschinen und Industriekränen auf.

Orgien-Mysterien-Auto

Drei solcher Monumentalaktionen – durchgeführt in Los Angeles 2008, in Detroit 2010 und in New York 2013 – bilden jeweils die Kerne des in drei Abschnitte unterteilten Films. Jedes Mal ist es ein Auto, das stellvertretend für einen Charakter begraben, zerfetzt, geschmolzen und als Skulptur geformt wird.

Hier zeigt der Bildhauer Barney seinen Willen, analog zu Mailers und Hemingways "Great American Novel" jenes große Kunstwerk zu schaffen, in dem die Essenz des Landes eingegossen ist.

Doch trotz aller Akribie, mit der Barney und sein musikalischer Mitstreiter Jonathan Bepler auf der Ton-Ebene zu Werke gehen, erstarren einige Aktionen auf der Bildebene im Mummenschanz: Das "Begräbnis" des Chrysler in Los Angeles etwa kommt wie ein Mix aus Mel Gibsons Azteken-Drama "Apocalypto" und der Autoshow "Pimp My Ride" daher.

Barney hat in diesem Film – wie Mailer vor ihm – den absoluten Willen zur Größe demonstriert. Und dann doch ins Klo gegriffen.

KURIER-Wertung:

INFO: Weitere Aufführungen am 16. und 17. 5., 18 Uhr, Gartenbaukino. Ausstellung zum Projekt bis 17. 8., Haus der Kunst München.

Die Highlights bei den Wiener Festwochen

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