Kultur

Liberté, Égalité, Beyoncé – oder: Tätowiert werden auf Speed

Viel Lärm wurde vor Beginn der Premiere angekündigt. Am Beginn und am Ende von "NOISE" seien Ohrenstöpsel anzuraten. Es war aber beileibe kein Lärm um nichts, der am Mittwoch im neuen Festwochen-Spielort "F23 Zusammenbau" in Wien-Liesing produziert worden ist.

Der deutsche Regisseur Sebastian Nübling erarbeitete mit acht Darstellern des jungen theater basel eine collageartige Theaterperformance, in der sich das Publikum und die Akteure für zwei Stunden eine riesige Fabrikshalle teilen. Vermittelt wird das Lebensgefühl Jugendlicher in verdichteten Großstädten, untersucht wird die Möglichkeit von Protest gegen kapitalistische Vereinnahmung. Es geht um das Erkämpfen von Freiräumen.

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In diesem Sinne entern die sichtlich energiegeladenen Jugendlichen das Fabriksgelände, hissen zu Beginn zwei segelartige Leinwände und strukturieren so auch den Raum neu. Das Publikum wandert weiter. Auf den weißen Stoffbahnen werden die vor Ort gefilmten Aktionen live übertragen. Davor hängt ein mächtiger Boxenaufbau, der auch als Zentrum der Inszenierung dient.

Das Material besteht aus Querverweisen auf Popkultur ("The kids are united, they will never be divided"), aus politischen Texten und Interviews in der Basler Szene. Das führt zu knalligen Parolen wie "Liberté, Égalité, Beyoncé!", authentischen Alltagsberichten von Gruppenzwang, Repression und Selbstbehauptung, bis zu unterhaltsamen Chorpassagen auf Schwyzerdütsch: "Tätowiert werden auf Speed: Isch’ normal! Tätowieren auf Speed: Isch’ nit normal!"

Energie

Jugendliche, die am Smartphone hängen, sich aus der Teilnahme am politischen Diskurs in digitale Welten zurückziehen – diese Diagnose einer "Simulationsgesellschaft" ist nicht neu. Aber die Energie und Unmittelbarkeit, mit denen die rotzfreche Truppe das stehende und spazierende Publikum in ihren Bann zieht, ist beeindruckend. Da wird man beinahe angerempelt, wenn die in Close-ups gefilmten Spieler durch den dunklen Raum eilen oder mit Euro-Paletten einen Catwalk bauen. Angestoßen wird man aber auch zum Nachdenken.

Am Ende wird der Raum durch zwei weitere Leinwände zum Würfel verengt. Darin vereint man sich, nach dem Verteilen von Freibier, zu einer Schreitherapie und rezitiert Guy Krnetas Text "Bewegung". Die Lautstärke des finalen Freak-outs versucht das Publikum mit Johlen und Klatschen noch zu übertreffen. Während man noch etwas über eine Kultur des "Einfach einmal machen" sinniert, hat einen die Realität bald wieder: Der Parkplatz hinter der Fabrik muss laut einer Durchsage schnellstens geräumt werden.

(Peter Temel)

KURIER-Wertung:

INFO: "NOISE". Texte von Guy Krneta und den SpielerInnen, angeregt von Armen Avanessian, Laurie Penny, Ryan Trecartin u.v.a.m., Inszenierung: Sebastian Nübling, Musik: Tobias Koch, Bühne: Dominic Huber, Kostüme: Ursula Leuenberger, Mit Sascha Bitterli, Leon Cremonini, Rabea Lüthi, Ann Mayer, Khadija Merzougue, Robin Nidecker, Lukas Stäuble und Denis Wagner. Koproduktion Wiener Festwochen und junges theater basel, F23 Zusammenbau, Breitenfurter Straße 176, 1230 Wien. Weitere Vorstellungen: 18. bis 21.6., 20 Uhr, Karten: 01 / 589 22 11, www.festwochen.at

Eindrücke von "NOISE"

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