Kultur

Was blieb von den Revolutionen?

Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren" - unterschiedlichste Protestparolen, bis zu "Wo bleibt die Vermögenssteuer?", hängen als Transparente rund um die Bühne des Werk-X, das in Wien-Meidling unter der Regie von Christine Eder eine Neubefragung der " Proletenpassion" zeigt.

Geschichte wird von den Mächtigen geschrieben, die Beherrschten müssen sich ihrer Geschichte bewusst werden – das war 1976 der Ansatz dieses Polit-Oratoriums. Nun, beinahe 40 Jahre später, schrieb der Autor Heinz R. Unger zusätzliche Texte, Gustav (Eva Jantschitsch) und Knarf Rellöm verpassten der Musik der Schmetterlinge eine Frischzellenkur.

Letzteres ist der größte Trumpf der "Proletenpassion 2015 ff.". Zu Beginn ertönt noch die Originalstimme von Willi Resetarits vom Band, danach kredenzt die Liveband eine bestechend zeitgemäße Mischung aus Punk, Elektro-Chanson und Rock nach Hamburger Schule.

Die Darsteller (Claudia Kottal, Tim Breyvogel, Bernhard Dechant) sorgen mit enormem Körpereinsatz dafür, dass man an der "Geschichte von unten" dran bleibt: Ausgehend von den Bauernkriegen über eine Live-Schaltung zur Französischen Revolution bis zu Videos, in denen sie als Altlinke die 70er Jahre Revue passieren lassen: Öl-Krise, Kreiskys Reformen, die verspätete Studentenbewegung in Österreich.

Bilder von der neuen "Proletenpassion"

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Der Markt spricht

Etwas lange hält man sich bei den einzelnen Stationen der Geschichtsrevue, wie der Pariser Kommune und der Oktoberrevolution, auf. Bei so manchem Kampflied, wie dem "Jalava-Lied" über Lenins Rückkehr nach Russland 1917, klatscht das Publikum in einem Anflug von Politnostalgie mit. Wohltuend ist aber, dass dem angestaubten Stoff viel Witz eingeimpft wurde, etwa mit einer Rede des von der Krise beleidigten "Marktes". In einem Schlagzeilen-Stakkato wird außerdem nachgewiesen, wie überpräsent "die Märkte" heutzutage die Wirtschaftsnachrichten dominieren. Mit dem abschließenden Bonmot: "Die Märkte sollten einmal Urlaub machen".

Der Sprung in die Gegenwart geschieht jedoch allzu abrupt, führt vom Faschismus direkt zum Neoliberalismus. Dass seit der "Proletenpassion", deren Aufführungen 1976 direkt in die Arena-Besetzung mündeten, viel passiert ist, und der Realsozialismus spätestens im Jahr 1989 einen entscheidenden Dämpfer erlitt, wird nicht aufgegriffen. Ebenso wenig wird das Versprechen eingelöst, eine Beschäftigung mit aktuellen Protestbewegungen wie Occupy oder Gezi-Park zu bieten.

"Das ist dem System seine Schuld"

Dabei wird eingangs die richtige Frage gestellt: "Proletarier, gibt's die überhaupt noch?" In einer angedeuteten Studenten-WG der Gegenwart spricht man von "digitalen Sweatshops". Aber mehr an Protest als ein "Das ist dem System seine Schuld" kommt der Jugend von heute auf der bequemen Couch nicht über die Lippen.

Mit dem Originaltext der Schmetterlinge kann man sich natürlich noch immer total kämpferisch geben: "Wir wissen, wohin wir gehen, weil wir wissen, woher wir kommen. Wir lernen im Vorwärtsgehen". Nur worauf diese Überzeugung heute noch fußen kann und zu welcher Gesellschaft es führen könnte, dafür findet man an dem mehr als zweistündigen Abend keine Antworten. Das von Gustav mehr hinausgeschriene als gesungene "Mehr Demokratie!" ist hingegen zeitlos gültig.

Am Ende der Premiere am Donnerstag wurden im intensiven Schlussapplaus die Original-"Schmetterlinge" rund um Georg Herrnstadt, Willi Resetarits und Beatrix Neundlinger auf die Bühne gebeten. Die Chance zu einer gemeinsame Zugabe mit dem jungen Ensemble wurde leider nicht genützt.

KURIER-Wertung:

Infos: "Proletenpassion 2015 ff." von Heinz R. Unger und den Schmetterlingen. Inszenierung: Christine Eder, Ausstattung: Monika Rovan, Musikalische Leitung: Gustav, Knarf Rellöm, Video: Philipp Haupt, Mit: Claudia Kottal, Tim Breyvogel, Bernhard Dechant, Gustav, Elise Mory, Didi Kern, Imre Lichtenberger Bozoki, Knarf Rellöm.

Werk X, Wien 12, Oswaldgasse 35 A, Weitere Vorstellungen: 24., 29.1., 7., 27., 28.2.; Karten: 01 / 535 32 00 11

werk-x.at

1976 hatte die mehrstündige Politrevue von Heinz Rudolf Unger und den Schmetterlingen, die den Unterprivilegierten eine Stimme geben und das linke Geschichtsbewusstsein schärfen wollte, im Rahmen der Wiener Festwochen in der "Arena" Premiere. Durch die anschließende Besetzung des Schlachthofareals St. Marx und die im Jahr darauf erschienene dunkelrote, dreiteilige LP-Box wurde die Produktion zur Legende. Die Schmetterlinge bestanden damals aus Georg „Schurli“ Herrnstadt, Erich Meixner, Beatrix Neundlinger, Willi Resetarits, Herbert Zöchling-Tampier, Günter Grosslercher und einem Chor.

Heinz R. Unger, mittlerweile 76, hat versucht, die Entwicklungen der vergangenen 39 Jahre aufzunehmen und in einer Neufassung der "Proletenpassion" zu verarbeiten. Entstanden ist die literarische Dokumentation eines kulturellen und kulturpolitischen Phänomens. Nachzulesen in dem neu erschienenen Buch "Proletenpassion ff." im Mandelbaum Verlag.

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