Kultur

Wie viel Realität steckt in "Gravity"?

Wumm! Im Hintergrund explodiert eine Raumstation – völlig lautlos. Der altgediente Astronaut Matt Kowalski, der aussieht wie George Clooney, und die Ärztin Ryan Stone, das Ebenbild von Sandra Bullock, sind mit einem Space Shuttle ins All geflogen. Ihre Mission: Hubble, das Weltraumteleskop, reparieren. Alles läuft gut, bis ein russischer Satellit explodiert und die umherfliegenden Trümmer in einer Kettenreaktion Katastrophe um Katastrophe auslösen – eine Filmlänge lang. Hubble zerstört, das Shuttle explodiert, die Astronauten trudeln und trudeln. Die Flucht zur Internationalen Raumstation ISS glückt mithilfe eines Raketen-Rucksacks, doch dann ... wie gesagt, Katastrophe um Katastrophe.

Kritiker und Fans sind begeistert und loben „Gravity“ (seit vergangenem Wochenende in den Kinos) als besten Science-Fiction-Film aller Zeiten. Der KURIER aber hat den neuen Streifen einem Reality-Check unterzogen. „Das Szenario, das da abläuft, ist durchaus realistisch.“ Das sagt Wolfgang Baumjohann. Und der sollte es wissen, ist er doch Direktor des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz. „Da explodiert irgendetwas, die Trümmer treffen etwas anderes, daraufhin explodiert auch das.“

Doch dann kommt das ,Aber‘ des Wissenschaftlers: „Das wesentliche Problem sind die unterschiedlichen Umlaufbahnen – so leicht kommt man nicht vom Hubble-Orbit in den Space-Station-Orbit. Und Raketen-Rucksäcke haben natürlich nur eine sehr endliche Reichweite. Man kann sich damit ein paar Kilometer von der Raumstation entfernen und wieder zurückkommen.“ Aber sicher nicht von Hubble zur ISS.

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Für dieNew York Times(NYT) hat sich der Astronaut Michael J. Massimino„Gravity“ angesehen. Er hat 2009 auf einer Mission zum Hubble-Teleskop genau jene Reparaturen durchgeführt, die jetzt auch im Film vorkommen. Was ihm gefallen hat? Dass Ms. Bullock mit genau so einem Schraubenschlüssel hantiert, den auch er besonders gerne verwendet hat.

„Sie haben alles getan, um es echt aussehen zu lassen“, sagt Massimino, der sich an seinen Trip ins All erinnert fühlte. „Aber“, gibt er Baumjohann recht, „Hubble liegt viel höher als die ISS“. Das Teleskop befindet sich etwa 570 km hoch in einer Umlaufbahn in der Nähe des Äquators, die Raumstation dagegen etwa 160 km tiefer in einer Umlaufbahn weit im Norden über Russland. Wenn sich die Film-Astronauten von Hubble zur ISS retten, sei das etwa so, als wären Seeleute von Piraten in der Karibik über Bord geworfen worden und wollten sich schwimmend nach London retten, schreibt die NYT .

Auch der renommierte Astrophysiker, Wissenschaftsjournalist, Buchautor und TV-Moderator Neil deGrasse Tyson hat sich auf seiner "Twitter"-Seite (1,4 Millionen Follower) damit befasst, was an der 3-D-Produktion falsch ist. So fragt er:

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Zero Gravity Podcast mit dem Astronauten der NYT. die dazugehörige geschichte findet sich im print auf seite 28 (12.10.)
vielen dank und hg susanne

Neil Armstrong hätte heute keine Chance. Ein Egozentriker, der zu Wutausbrüchen neigt, käme für den Langstrecken-Flug zum Mars nicht infrage. Das sagt der Astrophysiker Jürgen Öhlinger, der gemeinsam mit einem Historiker die Weltraumausstellung „Space“ im Technischen Museum kuratiert (25.10. 2013– 29.6. 2014).

Die Ausstellung (zur Eröffnung hat sich auch Ex-Austronaut Franz Viehböck angesagt) spannt einen Bogen von der revolutionären Idee des heliozentrischen Weltbildes bis zu aktuellen Trends der Weltraumarchitektur. Projekte wie „AustroMars“ sieht Öhlinger kritisch. Das Österreichische Weltraumforum testet in der Wüste von Marokko neuartige, flexible Weltraumanzüge, aber: „diese Leute machen den zweiten Schritt vor dem ersten“. Das größere Problem sei nach wie vor die Reise selbst, dabei seien die technischen Fragen gar nicht die schwerwiegendsten. Sondern? „Wie ertragen Menschen ein halbes Jahr Isolation (die Reise dauert 6 Monate), während die Erde im Fenster immer kleiner wird und es 20 Minuten dauert, bis ein Funkspruch beantwortet wird. Von den Tabuthemen auf Weltraumflügen – Sex, Alkohol – ganz zu schweigen.

Damit schließt sich der Kreis zur Personalauswahl: „Da oben sind keine Helden, sondern Menschen. Wenn sie wütend werden, müssen sie das offen ansprechen und dürfen es nicht mehr, so wie frühere Generationen, in sich hineinfressen. Nicht Testpiloten, sondern Teamplayer sind gefragt.“ Und was ist, wenn eine Katastrophe à la „Gravity“ eintritt, wären da nicht Individualisten, die selbstständig denken und handeln, besser? Öhlinger, überlegt: „Für so ein Szenario gibt es kein Protokoll.“