Kultur

Werkschau von Bildhauer Avramidis: Ideale Form, bessere Gesellschaft

„Grundsätzlich ist jedes Kunstwerk in Wahrheit abstrakt, weil der Akt der Schöpfung wesentlich ein Abstraktionsprozess ist“, erklärte Joannis Avramidis.
Der Prozess, in dem der Bildhauer seine Kunst schuf, lässt sich als ein ständiges Streben nach Gesetzmäßigkeiten verstehen, als ein Destillieren von Regeln, Strukturen, Geometrien.

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Nicht zufällig führte der Kunsthistoriker Werner Hofmann bei seiner 2011 erschienenen Avramidis-Monografie die berühmte, in einen Kreis und ein Quadrat eingeschriebene „Vitruvianische Figur“ des Leonardo da Vinci zu Beginn als Vergleichsbeispiel an: Abstraktion ist keine moderne Erfindung, sondern ein wiederkehrendes Motiv der Kunstgeschichte.

Ein Konzeptkünstler?

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Was sich ändert, sind die Bezugsrahmen, durch die sich das Werk eines Künstlers betrachten lässt. In derAusstellung des Leopold Museums (bis 4.9.) – verblüffenderweise die erste umfassende Avramidis-Werkschau in einem großen Wiener Museum – lässt sich der 1922 geborene Künstler fast als Konzeptkünstler erleben: Die Reduktion der Figur auf eine Struktur aus Rastern oder Bändern, die methodische Kombination zu Bündeln und Säulen und die Zurücknahme des Zufalls und der spontanen Handschrift lassen auch Minimalisten wie Sol Lewittals nicht allzu ferne Verwandte erscheinen.

Die Anschlussfähigkeit der eleganten Skulpturen an diverse Kunstströmungen ergibt sich allerdings auch daraus, dass Avramidis selbst sich stets dagegen weigerte, mit Strömungen mitzuschwimmen: Wenn er Vorbilder nannte, dann waren es meist die Alten Griechen, Meister der Frührenaissance oder der für seine prägnanten Figuren bekannte Maler Hans von Mareés (1837 – 1887). Avantgardistische Manifeste, das Aufbegehren gegen das Alte und die Proklamation des Neuen sind solcher Kunst fremd: Es geht stets um die innere Stimmigkeit und Zeitlosigkeit.

Fortschritt

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Entsprechend führt auch der Gang durch die Schau entlang künstlerischer Überlegungen, bei denen sich das eine aus dem anderen ergibt: Auf die Reduktion der menschlichen Figur auf ein Bein, auf dessen Verdopplung und Rotation folgt die Teilung in einen „Schreitenden“ und die Übersetzung der Bewegung in Linien im Raum: Sie erforschte der Künstler ab den 1960er Jahren in seinen „Bandfiguren“.

Die Entwicklung, auch das zeigt die Ausstellung in ihrer klugen, aufs Wesentliche reduzierten Auswahl, war bei Avramidis stets ein Paarlauf von Zeichnung und Skulptur: Das Festhalten körperlicher Phänomene auf Papier war der wichtigste Abstraktionsschritt, ohne den auch keine dreidimensionale Form gefunden werden konnte. Im „Bandfigurenfries“ (1967 – ’73) sind die Skulpturen schließlich fast schon zum Schriftzeichen verflacht.

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Dabei hatte Avramidis’ Streben nach Klarheit auch einen politischen Aspekt. Der Künstler, der selbst Zwang und Vertreibung erlebt hatte, hielt das Ideal einer Gemeinschaft hoch, in der Menschen einander auf Augenhöhe begegnen. Die „Polis“ genannten Figurengruppen verdeutlichen dies, ein großer Skulpturen-Park sollte die Vision noch ausformulieren. Er blieb – wie die egalitäre Gesellschaft als solche – ein unvollendetes Projekt .