Wer redet hier von Spaltung?
Von Peter Pisa
Man könnte meinen, im Zentrum von "Frühstück bei Fortuna", dem neuen Roman der preisgekrönten Oberösterreicherin Elisabeth Reichart, steht die Angst, mit der die Menschen von Rechtspopulisten so gern gefüttert werden.
Die Angst, die den Hass erlaubt – so schreibt Reichart.
Zitat: "Vielleicht haben die Ängstlichen gar keine Angst oder sie reden sich ein, sie hätten Angst, um die Flüchtlinge hassen zu können und alle, die nicht so denken und fühlen wie sie. Endlich kann der geheime Hass öffentlich werden."
Reparatur
Man könnte meinen, im Zentrum ihres Buchs steht die Angst, die spaltet.
Mitsamt der Spaltbesessenen, die nicht kooperieren wollen. Und den Gierigen.
Aber nein, das trifft das Herz des Buches nicht. Knapp daneben. Im Zentrum steht – die Liebe.
"... und die Leidenschaft für etwas oder für jemanden; und wohin sie führt, wohin sie führen kann."
Die Liebe "auf breiterer Basis als üblich", sagt Reichart zum KURIER. "Also Liebe und Leidenschaft auch zum Wald, zur Arbeit, zum Essen, zum Risiko, zu Menschen, zu den Zellen ..."
Zu welchen Zellen?
(Wäre dieser Roman ein Häferl Kaffee: Steckenbleiben würde der Löffel, ganz ohne Zucker im Kaffee.)
Elisabeth Reichart bezieht auch die Wissenschaft in ihre Liebeserklärung an die Liebe ein: Die Hauptfigur ist eine anerkannte Stammzellenforscherin.
Aber sie macht nicht mehr mit beim Spaltungswahn.
Sondern repariert lieber jene Zellen, die von Kollegen im Labor (oder auch direkt in den Schwerkranken) beschädigt wurden.
Korrigiert Fehler an den Genen, begangen von immer wagemutiger werdenden Wissenschaftlern.
Begangen aus Faszination in guter Absicht, so muss man hinzufügen; und man darf daran denken, was in der Biologie im Nationalsozialismus geschehen ist ...
Zusammenarbeit
Reichart wollte sich eine Welt aneignen, die ihr fremd war. "Vor dem Text wusste ich nicht einmal, dass ich nicht ADERN schreiben darf, sondern Blut nur von VENEN abgenommen wird. Uff – also, ich habe viel gelernt beim Schreiben."
Und sich dabei in die Zellen verliebt: "Der Blick auf sie, natürlich durchs Mikroskop, sind sind wirklich unglaublich schön, zart, winzig ... "
Vielfalt, Zusammenarbeit, Leben – gewiss nichts Spaltendes.
"Jetzt fange ich schon wieder zu schwärmen an! Ich war halt neugierig, habe herumgefragt und hatte das Glück, sie im AKH sehen zu dürfen. Ohne diese Erfahrung sähe das Buch anders aus."
Elisabeth Reichart wollte das Buch "lieben" nennen.
Aber der Titel war schon vergeben.
Band zwei der autobiografisch angelehnten Romanzyklen von Karl-Ove Knausgård heißt so. Der Norweger hat sich nicht derart viel Mühe gegeben.
Elisabeth Reichart:
„Frühstück bei Fortuna“
Otto Müller Verlag.
250 Seiten. 19 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
Ihr Klassiker: Die Voest-Kinder
Elisabeth Reichart ist auch Historikerin. Sie weiß bestens Bescheid über die 1938 als „Hermann Göring Werke“ gegründete Voest und über die KZ-Häftlinge, die dort Kriegsgerät bauen mussten.
Aber sie hat sich entschieden, aus der Sicht eines Kindes zu erzählen, dessen Vater in den 1950er-, 1960er-Jahren „Voestler“ war. „Die Voest-Kinder“, Reicharts intensiver Roman aus 2011, ist Dichtung ... und authentisch: Sie war selbst „Voest-Kind“.
EinsamDamals, bald nach dem Krieg, sagte man zu schlecht gestopften Zigaretten, die brennen „wie ein Jud“. Und für Roma, die überlebten, wurde noch immer (wieder) Hitler herbeigesehnt. Sie hausten in Baracken neben der Siedlung, die von der Voest für die Familien ihrer Arbeiter angelegt wurden.
Das Gemeinschaftsgefühl der „Voestler“ untereinander war groß. Für ihre Kinder blieb keine Zeit. Die waren einsam. Das namenlose Mädchen im Roman hat ein Durcheinander im Kopf: Was ist Nazi? Die Eltern geben nie Antwort. Vater ist im Werk. Mutter muss die Wäsche aus dem Garten holen, weil der schwarze Voest-Wind weht.
Und der Rassismus bekommt neue Nahrung: Ein schwarzes Baby wird in der Siedlung adoptiert. Sein Vater ist bei der Arbeit für die Voest in Afrika verunglückt. Auch der Pfarrer ruft: „Neger bringen Unglück!*
Elisabeth Reichart:
„Die Voest-Kinder“
Otto Müller Verlag.
300 Seiten. 22 Euro.
KURIER-Wertung: ****