Kultur

Weltstar José Feliciano: "Gott hat mit meiner Blindheit nichts zu tun"

Leobersdorf in Niederösterreich. Wir treffen José Feliciano und seinen langjährigen Manager Helmut Schärf, der hier einen Gutshof besitzt. Feliciano hat sich das Nachbarhaus gekauft. Er ist oft in Österreich, weil sich auf dem Gelände auch ein Tonstudio befindet. Dort bastelt das Duo immer wieder an neuen Projekten. Der erste Latino-Künstler, dem auch den Durchbruch in den USA gelang, bringt demnächst gleich acht CDs heraus. Zeit für ein Interview, das spannend beginnt. Was tun, wenn man keinen Augenkontakt herstellten kann? José treibt einem die Berührungsängste mit seiner Direktheit schnell aus.

Herr Feliciano, das ist mein erstes Interview mit einem blinden Menschen ...

Ich bin nicht anders als ein Mensch, der sehen kann.

Das ist klar. Verzeihung, dass ich das sage, aber ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll.

Well, schauen Sie einfach auf meine Brille.

Woher wissen Sie, ob Ihnen der Mensch, der Ihnen gegenüber sitzt, sympathisch ist?

Das ergibt sich. Ein Mensch erlaubt dir, ihn zu mögen oder nicht.

Okay. Wie kommt es, dass Sie in der nächsten Zeit gleich acht CDs auf einmal herausbringen? Ist das nicht zu viel?

Wir machen und sammeln schon seit vielen Jahren Lieder. Helmut (Anm.: Manager Schärf) hatte viele Ideen. Eine war, Mozart auf der klassischen Gitarre zu machen. Es hat lange gedauert, bis wir alles im Kasten hatten, aber jetzt ist es soweit.

Mozart hat nicht für Gitarre geschrieben. Selbst für eine Spitzen-Gitarristen muss die Umsetzung schwierig sein.

Es war Fluch und Segen zugleich. Ich hatte nach jedem Stück Kopfschmerzen, weil die Musik so viele Twists und Turns hat. Es war echt hart. Aber jetzt bin ich richtig glücklich. Ich glaube, Mozart wäre stolz auf mich gewesen.

Sie können stolz auf sich selber sein. Angeblich haben Sie als Kind Musikstücke von der Kassette gelernt.

Von Kassetten und vom Radio. Wenn man etwas will, tut man es einfach. Ich habe einen Song einmal gehört und konnte ihn spielen. Mit neun habe ich Gitarre gespielt, mit sieben Akkordeon.

Heute sind Sie 71 und haben Ihr Leben oft in Ihren Songs verarbeitet. Warum schreiben Sie nicht lieber über andere?

Ach, da bin ich ein bisschen wie Neil Diamond. Der schreibt auch über sich selbst. John Lennon hat es auch getan. Bob Dylan ist auch ein großer Poet, der über sich schreibt. Darum geht es doch im Leben.

Offenbar. Der Musiker Bob Dylan hat den Nobelpreis für Literatur bekommen.

Ich finde ja, dass er viel mehr Literat als Musiker ist. Aber das ist meine Meinung. Generell ist es sehr bedauerlich, dass Nobel keinen eigenen Preis für Musik geschaffen hat. Es gibt Preise für Wissenschaft und Literatur, aber für Musik? Offenbar hatte Nobel keinen Bezug zur Musik.

Felicianos Manager unterbricht kurz.

Helmut Schärf: Lass mich schnell deine Brille wechseln, José.

José Feliciano: Zeit wird’s. Mit der sehe ich viel besser.

Sie nehmen Ihr Handicap mit Humor.

Nein, ich nehme es wie es ist. Manchmal tut es auch weh.

Sie sind sehr gläubig. Hilft Ihnen das in diesen Momenten?

Ich glaube mehr an Gott als an eine Religion. Ich will niemanden missionieren, aber ich weiß, dass es einen Gott gibt. Er muss etwas damit zu tun gehabt haben, dass aus mir der geworden ist, der ich bin.

Waren Sie nie böse auf Gott, weil er Ihnen das Augenlicht verwehrt hat?

Damit hat Gott doch nichts zu tun. Man kann es mit einer Grapefruit vergleichen, die ein bisschen faul ist. Ist das Gottes Schuld? Das ist das Leben.

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Manager Helmut spielt Fotograf Jürg Christandl im Nebenzimmer eine neue Version von Felicianos Welt-Hit „Feliz Navidad“ vor.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das Lied hören?

Dass ich der einzige Künstler der heutigen Generation bin, der ein Weihnachtslied für ein ganzes Millennium geschrieben hat. Das war 1970 und ist eine ganze Weile her. Ich bin gesegnet.

Die Melodie klingt einfach ...

Ja, aber manchmal macht genau das einen Song aus. Je einfacher, desto besser. Das Lied kann der Bäcker pfeifen, der Müllmann singen und der Bauarbeiter summen. Es ist ein Lied für alle.

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Der internationale Durchbruch gelang Ihnen 1968 mit dem Cover des „Doors“-Hits „Light my Fire“. Interessant ist, dass das Lied damals eigentlich
die B-Seite der Platte war.

Das stimmt, die A-Seite war "California Dreaming“, weil mir „The Mamas and the Papas“ immer gefallen haben. Aber dann hat irgendwer die Platte umgedreht und „Light my Fire“ wurde der Hit.

Der Gitarrist der „Doors“, Robby Krieger meinte einmal, er stünde in Ihrer Schuld, weil „Light My Fire“ durch Ihre ganz eigene Interpretation noch einmal so populär wurde. Covers waren damals etwas ganz Neues. Sehen Sie sich als Pionier?

Mich freut Kriegers Lob, weil ich die „Doors“ liebe und immer ein Fan war. Aber ich weiß nicht, wie ich Ihre Frage beantworten soll. Was ich gemacht habe, war für mich ganz natürlich. Ich wünschte, ich hätte Jimmy Morrison kennengelernt. Aber Jimmy war woanders, you know?

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Der Pionier zieht sich trotzdem durch Ihre Biografie. Sie waren 1968 auch der Erste, der bei einem Baseballspiel die Nationalhymne gesungen hat. Heute reißen sich Stars darum, bei Sportveranstaltungen die Hymne zu singen.

Das waren damals die Detroit Tigers. Ich sehe es so: Pioniere machen die Schwerarbeit und müssen die Felsen beiseite räumen. Davon profitieren andere.

Waren es viele Felsen?

Einige. Vielleicht war ich deshalb so oft stoned.

Sie sind schlagfertig. War das ein Grund, warum Sie sich als Musiker auch in der Schauspielerei versucht haben?

Ich dachte irgendwann einmal, dass ich schauspielen will, ohne Schauspieler zu sein. Warum soll man nicht in einem Film mitspielen, wenn sich die Möglichkeit ergibt? Als Laienschauspieler kannst du sein, wer du willst. Der romantische Typ, der Bohemian, alles.

Helmut Schärf: Morgen haben wir ein Gespräch mit jemandem, der die Geschichte von Mutter Teresa verfilmen will.

Jose Feliciano: So viel kann ich verraten. Ich werde nicht Mutter Teresa spielen. Meine Lieder sind wie meine Kinder, das sind Babys. Am wichtigsten ist immer das Lied, das man gerade geschrieben hat.

Im Cohen-Klassiker „Fargo“ haben Sie sich 1996 selbst gespielt und singen in einer Szene das Lied „Let’s Find Each Other Tonight“. Wunderschön! In welcher Stimmung ist es entstanden?

Mir ist das Lied eingefallen, als ich gerade im Auto gesessen bin. Ich war in einer romantischen Stimmung, obwohl, meine Frau damals gar nicht bei mir war. Das wollte ich festhalten.

Für Ihre Frau Susan, mit der Sie seit 34 Jahren verheiratet sind, haben Sie das Lied „Believe me, when I tell you“ geschrieben. Wie ist es, so lange mit jemandem zusammenzusein?

Mit mir ist das einfach, weil ich viel reise. Deshalb sehen wir uns nicht so oft wie ich es gerne hätte. Wir kennen uns seit früher Jugend. Susan war 17 und ich 25 Jahre alt und wir haben elf Jahre zusammengelebt, bevor wir 1982 geheiratet haben. Unser erstes Kind Melissa kam 1988 zur Welt. „Don’t worry, be happy“ war damals mein Lieblingslied. Mein Manager Helmut war damals schon bei mir und hat Melissa in seinen Armen gehalten.

Er ist also nicht nur Ihr Manager.

Er ist wie mein Bruder, der auch mein Manager ist. Das war seine Entscheidung, die ich mitgetragen habe. Aber in erster Linie ist er mein Bruder. Wir haben wie alle Brüder unsere Unstimmigkeiten, vergessen das aber und kommen wieder zusammen. Wir leben für dieselben Ziele.

Ihr Manager ist Österreicher. Haben Sie sich deshalb ein Haus in Leobersdorf gekauft?

Gut möglich, dass ich nicht hier leben würde, wenn Helmut nicht mein Manager wäre. Aber er bringt mich näher zu Österreich. Ich liebe das Land, weil es so grün ist.

Wo leben Sie, wenn Sie nicht gerade in Österreich sind?

In New England in Connecticut. Das ist in Nordamerika.

Kann man Österreich und New England vergleichen?

Das wäre so, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Die einzige Gemeinsamkeit, die mir einfällt, ist, dass Österreich und Connecticut beide sehr grün und wasserreich sind. Österreich kann man mit keinem Land in Amerika vergleichen. Österreich ist Österreich.

Sie kommen ursprünglich aus Puerto Rico. Hat es Sie nie wieder dorthin zurückgezogen?

Ich mag Südamerika, aber Puerto Rico ist im Sommer viel zu heiß. Die einzige Zeit, die ich dort mag, sind der Herbst und der Winter, weil es kühler ist.

Was für eine Bedeutung hat das Armband an Ihrem linken Handgelenk?

Ich komme gerade von einer Show aus Miami zurück, wo die „Miami Children’s Health Foundation“ ihren zehnten Jahrestag gefeiert hat. Ich liebe es, Kindern zu helfen und wurde dort in eine „Hall of Fame“ aufgenommen.

Sie wurden auch in der „Latin Songwriters Hall of Fame“ aufgenommen und haben neun Grammys gewonnen. Welche Auszeichnung ist die wichtigste?

Alles, was man im Leben bekommt, ist eine gute Sache. Die Ehrung, die ich gerade bekommen habe oder die Grammys oder mein Stern am Hollywood Walk of Fame. Ich bin wirklich gesegnet.

Gibt es eigentlich eine Lieblingstextzeile aus einem Ihrer Lieder?

Oh, das ist eine sehr schwierige Frage. Wissen Sie, das ist so, als würden Sie einen Dichter nach seinem Lieblingsgedicht fragen. Wahrscheinlich würde er dieselbe Antwort geben wie ich: Ich liebe sie alle! Meine Lieder sind wie meine Kinder, das sind Babys. Am wichtigsten ist immer das Lied, das man gerade geschrieben hat.

Welches war das?

Es heißt „One last drink“ und ist auf meiner neuen CD.

Das klingt nach Problemen.

In gewisser Weise.

Was ist die Botschaft?

Es ist ein Country-Song über einen Mann, der trinkt, um zu vergessen, dass ihn sein Mädchen verlassen hat. Und deshalb sagt er zum Bartender: „One more drink Bartender, it will help to ease the pain. Drop a coin into the Jukebox and please play that song again.“

Das klingt nach einer Krise. Wie ist die Bilanz über Ihr bisheriges Leben?

Wie heißt du nochmals?

Barbara.

Well, Barbara, lass es mich dir so erklären. Ich glaube, dass ich vom Leben mehr bekommen habe, als ich erwartet habe. Ich habe gute Freunde und darf tun, was mir Spaß macht. Viele Leute haben Jobs, die sie nicht ausstehen können. Die stehen morgens auf und sagen: „Scheiße, ich muss jetzt diesen fuckin’ Job machen.“ Helmut wird sich jetzt denken: „Manchmal magst du doch auch nicht“ ..., aber so ist das Leben. Im Endeffekt denke ich mir immer, was für ein glücklicher Mensch ich bin, der Gitarre spielen kann und sich keine Gedanken über einen Boss machen muss, der sagt: „Du bist gefeuert.“

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Hört José Feliciano eigentlich José Feliciano?

Manchmal mache ich das, aber ich versuche, es nicht zu tun.

Warum nicht?

Ich weiß nicht, das ist einfach so ein komisches Ding von mir.

Was hören Sie dann?

Bob Dylan zum Beispiel. Der war auch ein guter Freund von mir. Ich mochte seinen frühen Folk-Songs. Er hatte viel zu sagen.

Haben Sie ihm denn gleich zum Nobelpreis gratuliert?

Nein, ich habe seine Adresse schon lange nicht mehr. Ich weiß, wir haben schon darüber geredet, aber es wird jetzt echt Zeit, dass es einen Nobelpreis für Musik gibt.

Ja, das wäre wichtig.

Warum sollten die Beatles den Nobelpreis nicht kriegen für alles, was sie für die Welt getan haben? Als die Beatles berühmt wurden, sind die USA gerade durch die Hölle gegangen. Unser Präsident wurde erschossen und als die Beatles 1964 groß geworden sind, haben sie uns geheilt. John Lennons Kompositionen waren großartig. Sie waren fröhlich, es ging um Liebe und sie hatten eine Botschaft. „Imagine“ aus dem Jahr 1971 mochte ich wirklich.

Fotograf Jürg verabschiedet sich.

José Feliciano: Wussten Sie, dass ich mal mit der Tochter eines Fotografen ausgegangen bin?

Jürg Christandl: Nein ...

José Feliciano: Aber es hat sich nichts entwickelt.

Jürg Christandl: Den Witz merk ich mir.

Wie wussten Sie eigentlich damals, dass Ihre Frau die Richtige ist?

Sie war so süß, hatte lange Haare und ich habe mich mit meinen 25 ein bisschen gefühlt wie Mick Jagger, weil sie erst 17 war. Sie war großartig und ist es bis heute. Ich fühle noch immer dasselbe für sie.

Sie können sich glücklich schätzen.

Das tue ich. Das Leben ist gut zu mir. Ich sitze hier und bekomme die Chance, von hübschen Frauen interviewt zu werden.

Woher wollen Sie das wissen?

Das ist das Problem von Leuten, die sehen können. Sie glauben, man lebt in der Dunkelheit, wenn man blind ist. Jeder Mensch hat eine Aura, die mir zeigt, wie er aussieht.

Was ist der Sinn des Lebens?

Immer weiterzumachen.

Wenn Ihr Leben morgen vorbei wäre, könnten Sie zufrieden sein?

Wie könnte ich zufrieden sein, wenn ich tot wäre?

José Feliciano,71, wurde als zweitältestes von elf Kindern 1945 in Puerto Rico geboren - aufgrund eines erblich bedingten Grünen Stars ist er von Geburt an blind. Sein Vater war Bauer und nach Angaben Felicianos ein starker Charakter, der keinen Widerspruch duldete. Um ungestört zu sein, schloss er sich oft 14 Stunden in seinem Zimmer ein, und hörte Musik. So bracht er sich mit sieben Jahren auch selbst Akkordeon und mit neun Gitarre bei. Mit 17 trat er zum ersten Mal als Musiker in Clubs auf, um seine Familie zu ernähren. Bald war er in Südamerika berühmter als die Beatles und schaffte mit der Cover-Version des „Doors“-Hits „Light my Fire“ international den Durchbruch. Seine größten Hits sind „Feliz Navidad“ und in Österreich „The Sound of Vienna“. Feliciano ist seit 34 Jahren mit Susan verheiratet und hat drei Kinder.

Feliz Navidad: Am 2. Dezember 2016 tritt der neunfache Grammy-Gewinner José Feliciano, der 110 Mio. Schallplatten verkaufte, mit seinen größten Hits und Weihnachtsliedern im Auditorium in Grafenegg auf. Beginn: 20 Uhr.

Karten unter: www.grafenegg.com Telefon: 02735/5500

www.oeticket.com

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