Kultur

"Wastwater": Jeder hat Leichen im Keller

Wastwater, das ist der tiefste See in England. Still, unheimlich, nie von Tageslicht erhellt. Simon Stephens’ Großvater wusste Horrorgeschichten darüber. Leichen sollen da unten liegen, die nicht geborgen werden können. Manche von freiwillig, manche von unfreiwillig ins Wasser gegangenen. Der britische Erfolgsdramatiker nannte ein Stück danach – obwohl es in und um den Flughafen Heathrow angesiedelt ist. "Wastwater" ist ein Triptychon der Angst.

Drei Paare treffen in drei Episoden aufeinander. In der ersten verabschiedet eine Ziehmutter ihren Pflegesohn, der auf Nimmerwiedersehen wegfliegt. In der zweiten entgleist ein Blind Date im Flughafenhotel zum Sado-Maso-Spiel. In der dritten warten Käufer und Verkäuferin in einer Lagerhalle auf eine Lieferung von den Philippinen. Ein Kind.

Stephan Kimmig inszeniert am Akademietheater die österreichische Erstaufführung mit Andrea Clausen und Peter Knaack, Mavie Hörbiger und Tilo Nest. Szene eins spielen Grande Dame Elisabeth Orth und Daniel Sträßer, der 25-Jährige, den Burg-Chef Matthias Hartmann direkt von der Schauspielschule weg zum neuen "Romeo" machte.

KURIER: Herr Sträßer, ist Harry eine Figur, wie Sie sie mögen?

Daniel Sträßer: Eine tolle Figur. Bei der ersten Lektüre des Stücks – in einer schlaflosen Vollmondnacht – ist mir gleich diese besondere Stimmung aufgefallen. Harry war mir sympathisch, aber auch unheimlich; ich habe viel an dem zerbrechlichen Charakter nicht verstanden. Je mehr ich mich mit der Rolle beschäftige, umso tiefer wird sie. Die Metapher Wastwater ist ja die Aufgabe an den Schauspieler: Diesen See zu spielen. Harry – Harry-See.

Im Vergleich zu den folgenden Episoden könnte man glauben, Ihre ist die harmlose. Dem ist natürlich nicht so. Gibt es auch in dieser Szene eine sexuelle Komponente?

Elisabeth Orth: Die gibt es wahrscheinlich immer von Pflegemüttern zu Pflegesöhnen. Harmlos würde ich nicht zu Frieda sagen. Ohne Harm: Ja. Harry ist ihr letztes Pflegekind, das, um das sie die größte Sorge hat. Als sie diesen besonders schwierigen, der Polizei bekannten Jungen aufgenommen hat, muss mehr als Liebe aufgeflammt sein. Etwas in der Art von: Der könnte mich am meisten brauchen. Was für ihr Ego gut war. Das kommt zwischen den Zeilen durch.

Das Stück spielt nicht umsonst in Flughafennähe. Ein Transitort, den man durcheilt, ohne zu kommunizieren. Ist es das, was die Figuren im Stück tun: Sprechen, aber nicht miteinander reden?

Orth: Ja, und ich hoffe, als Zuschauer merkt man, wie schwer es ist. Obwohl die Situation einfach ist: Wir verabschieden uns, er geht.

Sträßer: Das ist Harrys Thema: Sein Trieb. Er hat bei Frieda ein Zuhause gefunden, aber das ersetzt nicht, was er verloren hat: Sein Elternhaus, seine Wurzeln. Er ist auf der Flucht, er muss immer weg. Er sucht – die Frage ist nur was. Ich glaube, er wird ewig rastlos bleiben.

Im Stück hat jeder eine Leiche im Keller und wenn`s er selber ist. Der Text ist verrätselt und trotzdem klar. Wie spielt man Doppelbödigkeit?

Sträßer: Ja, da ist ein großer, bewegter Untergrund und darüber ruhige Oberfläche ...

Orth:... auf der man nicht sicher steht. Man ist ständig am Kippen. Man hält sich an den Dialog und weiß, in der übernächsten Zeile wird das Gesagte nicht mehr stimmen. Das bedingt beim Spielen, dass man sehr in den anderen hineinhört.

Sträßer: Es ist eine Herausforderung, weil man selber so viel mehr über die Figur weiß, als man dem Publikum sagt. Denn natürlich hängen die Episoden zusammen.

Und zwar durch Ihre Figur. Sie sind gut beschäftigt, spielen derzeit auch "Romeo und Julia" und "Endstation Sehnsucht", werden von Publikum und Presse gelobt. Ist es so, wie Sie sich`s vorgestellt haben?

Sträßer: Ich war nicht größenwahnsinnig genug, mir vorzustellen, dass ich mal am Burgtheater spiele. Für mich ist mit diesen großen Kollegen spielen zu dürfen einfach enorm gut. Das macht mich besser, das bringt mich weiter. Ich bin hier ganz toll aufgenommen worden.

Sie sind nun unter den Herren im Ensemble der jüngste. Der Dramaturg dieser Produktion, Klaus Missbach, ist Ihr "Entdecker".

Sträßer: Er war beim Theatertreffen der deutschsprachigen Schauspielschulen 2011 in der Jury. Und zwei Tage später rief das Burgtheater an. Am Abend vor dem Vorsprechen war ich das erste Mal im Haus, am dritten Rang. Dabei wollte ich ursprünglich Opernsänger werden, ich habe auch klassisch Fagott gelernt und in Saarbrücken Musikwissenschaften studiert. Dann bin ich zum Glück in die Schauspielklasse am Salzburger Mozarteum gewechselt ...

Frau Orth, Sie haben einige Kollegen auf ihrem Weg begleitet. Wie ist die Jugend?

Orth: Die Jugend ist jung. Und das hat viele Facetten. Es gibt fleißige, es gibt faule, arrogante. Manche mauern, lehnen ab, viele sind offen. Es kann wahnsinnig viel verdorben werden, wenn die Begleitung nicht aufpasst, wenn sie sich selber zu wichtig nimmt. Es gehört eine gewisse Form von Hingabe dazu, wenn man mit jungen Leuten spielt. Wer’s nimmt, wird gut. Daniel nimmt’s.

Sträßer: Ja. Wir sind ein gutes Doppel, glaube ich.

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