Was ist eigentlich ein "koloniales Ding"?
Von Michael Huber
Boxchampion Mike Tyson trägt ein Tattoo im Gesicht. Dieses spielt im Film „Hangover 2“ (2009) eine Rolle – einer der Charaktere will sich dasselbe Motiv stechen lassen. Tysons US-amerikanischer Tätowierer versuchte das zu verhindern, weil er das Copyright für das Muster beanspruchte – dabei hatte er es selbst von südpazifischen Maori-Stämmen abgeschaut, ohne zu fragen.
Der Streit ums Tattoo ist eine von zehn Fallstudien, die das Weltmuseum Wien (WMW) bis 30. Juni 2020 in einer Reihe von Vitrinen und einem (kostenlos downloadbaren) Booklet ausgebreitet hat. Sie Sonderschau „Ein koloniales Ding“ soll die Fragen vermitteln, die Gegenstand eines fundamentalen Umdenkprozesses in den Museen – und generell in kulturellen Archiven – sind. Österreich, wenngleich keine Ex-Kolonialmacht im engeren Sinn, ist mit dem Weltmuseum stark in die Debatte eingebunden.
Kuratorin Claudia Augustat versucht mit einzelnen Objekten Facetten aufzuzeigen: Soll das Museum etwa Reproduktionen der „Benin-Bronzen“ – zweifellos geraubte Objekte – im Shop verkaufen dürfen? Soll ein Objekt, das in seiner angestammten Kultur als heilig gilt, überhaupt gezeigt werden? Beginnt „Kunstraub“ erst mit Gewaltandrohung, oder ist schon mit überbordendem Forscherinteresse eine Grenze überschritten?
In der Schau kommen mehrere Personen zu Wort, die auch verdeutlichen, dass bereits frühe Ethnologen mit solchen Fragen haderten. Um neue Wege im Umgang mit indigenen Kulturen zu finden, hat das Weltmuseum mit dem Bundeskanzleramt bisher zwei Workshops abgehalten und auf europäischer Ebene das Forschungsprojekt „Taking Care“ angestoßen. Mittelfristig wird die Politik am Wort sein.