Kultur

Von Bewunderung überwuchert

Ihre Bilder von Blumen, Sanddünen oder Rinderschädeln im Wüstensand hat vermutlich jeder schon irgendwo gesehen. Das Wort "Ikone" kommt rasch über die Lippen, wenn von Georgia O’Keeffe die Rede ist, denn nicht nur die Bilder der Künstlerin, die 1986 fast hundertjährig starb, sind einprägsam, auch ihre Erscheinung – zuerst als junge Muse des Fotografen Alfred Stieglitz, später als geheimnisvolle, schwarz gekleidete "Lady aus der Wüste" – war es.

Doch wie es bei Ikonen oft ist, offenbart sich ein anderes Bild, wenn man sie durchleuchtet, Schichten offenlegt. Und so wird aus Georgia O’Keeffe eine der großen missverstandenen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts: Eine, deren Werk von wohlmeinenden, aber eigennützigen Interpretationen anderer überpinselt wurde.

Freigelegt

Die Werkschau, die ab heute in der Londoner Tate Modern zu sehen ist und im Dezember in das Kunstforum Wien übersiedeln wird, hat sich zur Aufgabe gemacht, die "ursprüngliche" O’Keeffe wieder freizulegen und die Bilder, aber auch die eigenen Aussagen der Künstlerin in den Mittelpunkt zu stellen:

"Sie wollte nie aufs Geschlecht reduziert werden und hat das auch ihr Leben lang gesagt", erklärt Tanya Barson, Kuratorin der Schau an der Tate Modern, im KURIER-Gespräch in London. "Ich finde es bezeichnend, dass wir ihr nicht zugehört haben."

Es half nicht, dass gerade Alfred Stieglitz, der 1916 O’Keeffes Zeichnungen erstmals in seiner Galerie ausstellte und die Künstlerin 1924 heiratete, die Interpretation ihres Werk als essenziellen Ausdruck von "Weiblichkeit" in abstrakter, moderner Form früh festschrieb.

Wie Barson ausführt, war O’Keeffe zwar im Kampf für Frauenrechte engagiert, interessierte sich künstlerisch aber ganz generell für eine Synthese von Abstraktion und Landschaftsmalerei, in der sich eine speziell "amerikanische" Kunst manifestieren würde.

Ur-amerikanisch

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"O’Keeffe konstruierte sich selbst als Amerikanerin", erklärt Kuratorin Barson. "Was sie von der europäischen Avantgarde kannte, kannte sie aus der Entfernung. Doch sie malte bereits kurz nach Kandinsky abstrakte Bilder."

Der Einfluss O’Keeffes auf andere Heroen der US-amerikanischen Kunstgeschichte sei gewaltig: Barson sieht etwa Parallelen zum Werk von Barnett Newman (1905– ’70), der in seiner Studienzeit in den 1920er- und 1930er-Jahren in New York viel Gelegenheit hatte, ihre Bilder zu sehen und sich sein künstlerisches Markenzeichen, einen vertikalen Streifen im Bild, von O’Keeffe abgeschaut haben könnte.

In der Macho-Gemeinde der US-Künstler und Kritiker der Nachkriegszeit wurden solche Verbindungslinien freilich verneint. Insbesondere in der auf größtmöglichen Purismus abzielenden Theorie des Kritikers Clement Greenberg hatten Anklänge an Landschaften und dergleichen keinen Platz.

O’Keeffe blieb indes bei ihrer Kunst des Sowohl-als-Auch, malte konkrete Landschaften und Objekte ebenso wie abstrakte Kompositionen, oft in ein und demselben Bild. Die Großstadt mit ihren Denkschulen ließ sie bald hinter sich, sie erforschte die Weite der amerikanischen Landschaft auch ganz direkt, wandernd oder auf ausgedehnten Reisen im Auto, später im Flugzeug, wo ihr der Blick aus dem Fenster ebenfalls zur künstlerischen Inspiration diente.

Sexualisiert

Als die feministische Bewegung der frühen 1970er-Jahre O’ Keeffe zu einer ihrer Heldinnen auserkor, fanden sich ihre Bildinhalte allerdings wieder in ein sexualisiertes Schema gepresst – Blumen und Landschaften wurden als Symbole für Geschlechtsorgane oder Körpererfahrungen gedeutet, gesehen durch eine Freudsche Brille, die schon Stieglitz aufgehabt hatte und die O’Keeffe hasste.

Vielleicht gelingt es in der neuen Ausstellung, alle Brillen abzulegen. Dass O’Keeffes Werk und Leben in vielen Farben schillert, steht außer Zweifel.

INFO

Georgia O’Keeffe wurde 1887 in Wisconsin geboren und starb 1986 in New Mexico, wo sich auch heute noch das Georgia O'Keeffe Museum um ihren Nachlass kümmert. Das Gemälde „Jimson Weed / White Flower No. 1“ (1932) erzielte 2014 mit 44,4 Mio. US-Dollar den höchsten Preis für ein Werk einer Künstlerin. Es hängt nun als Leihgabe des Crystal Bridges Museum of American Art (Arkansas) in der aktuellen Schau.

Die bisher größte Werkschau O’Keeffes außerhalb der USA ist bis 30.10. in der Tate Modern, London, zu sehen. Im Bank Austria Kunstforum Wien wird sie danach von 7. 12. 2016 bis zum 26.3. 2017 gezeigt.