Kultur

Vea Kaiser: Ein sprudelndes Debüt

Es brummt der strenge Kritikerkollege Harald K., Germanist obendrein, während Vea Kaiser aus ihrem Roman vorliest: "Die Zeitenfolge ... hörst du das? Da stimmt nichts. Nichts."
Zeitenfolge?
Wen interessiert die Zeitenfolge?
Hier schlägt gerade eine 23-jährige österreichische Naturgewalt in ein 490-Einwohner-Alpendorf ein! Vea Kaiser hat in den Trompeten, der Kirchturmglocke, dem Maibaum-Aufstellen den Pop entdeckt, im 14,8 m langen Bandwurm sowieso.

Ohne Wurm kein "Blasmusikpop". Denn der Holzschnitzer Johannes Gerlitzen, um die 20 ist er ungefähr Ende der 1950er-Jahre, hat sich so einen schnell wachsenden eingefangen; und weil es ein Jahr dauerte, bis er ihn hinausgesch ... also los geworden ist, schnitzt er nicht mehr. Sondern forscht. Er verlässt St. Peter am Anger, um Arzt zu werden. Dass das Mädchen, dass seine Frau, die Elisabeth, eben zur Welt gebracht hat, dem "Sautrottel" (= der Nachbar) ähnlich schaut, beschleunigt seine Abreise. Als Studierter kehrt Johannes Gerlitzen nach acht Jahren ins Dorf zurück; und ab jetzt haben wir das, was der Untertitel des Romans verspricht: Die Wissenschaft kommt in die Berge.

Das war jetzt nur der Anfang. Das Vorspiel. Der Holzschnitzer war nur der Einpeitscher. Es nahen 440 Seiten, in denen sein Enkelkind die Hauptrolle spielt.

Bergbarbaren

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Die "Hofübergabe" hat starke Szenen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Roman gewonnen – egal, wie spekulativ er ist: "Doktor Enkel" meldet sich zum Forschungsdienst bei "Doktor Opa".

Er wird keine Würmer sezieren, sondern – seinem Vorbild Herodot folgend – die Geschichte der Dorfbewohner aufschreiben. Der Bergbarbaren. Er wird sich nicht über sie lustig machen, aber sich abwenden bei Witzen wie: "Wos sogt a Frau mit Sperma auf da Brilln? – I hab’s kummen sehn!"
Freilich lässt er sich von einem unwissenschaftlich rothaarigen Mädchen und einem Fußballspiel ablenken.

"Blasmusikpop" ist kurzweilig wie Jonas Jonassons "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg ..." (eine Million verkaufte Exemplare allein im deutschsprachigen Raum!)
Aber weniger herzlich. Weniger beseelt.

Vea Kaiser sprudelt. Im Gespräch mit dem KURIER verriet sie, ursprünglich 4000 Seiten geschrieben zu haben. Sie ist eine erfrischende Quelle, die der Kölner Kiepenheuer & Witsch Verlag entdeckt hat.

Dieser Roman gehört ins Kino. Ob Vea Kaiser – geboren nahe St. Pölten, wohnhaft in Wien – der Schriftstellerei gehört, weiß sie selbst noch nicht. Sie studiert Philologie, Klassische und Deutsche. Das konnte sie – dank Herodot – hier gut verbinden.
Ursprünglich wollte sie von der historischen Wurmforschung in der Monarchie erzählen. Über die Wettkämpfe, wer schneller "austreibt".

Tun Sie’s. Bitte.

Peter Pisa

KURIER-Wertung: **** von *****

"Mayas Tagebuch": Ein Blick in Isabel Allendes Familienalbum

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Maya, neunzehn, hat schon ein bewegtes Lebens hinter sich. Aufgewachsen ist sie be i den Großeltern in San Francisco. Ihre Oma Nini ist eine energische Chilenin. Den Großvater, einen sanften Raumforscher, liebt Maya über alles. Aus Trauer über seinen Tod gerät das Mädchen auf die schiefe Bahn und zwar derartig, dass sie sich jetzt auf einer chilenischen Insel vor der Polizei und einer Geldwäscherbande aus Las Vegas verstecken muss.

"Mayas Tagebuch" ist eine saftige Geschichte. Mit Rückblenden und geschickten Zeitsprüngen, alles in allem ein dichter, detailreicher Erzählstrang. Isabel Allende hat einiges zu berichten.

 

Viel Privates

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Die siebzigjährige Bestsellerautorin schreibt viel Privates in ihre Bücher – das war schon beim "Geisterhaus", ihrem ersten großen Erfolg, so. Allende ist die Großnichte des ehemaligen chilenischen Präsidenten Allende, der von Pinochet gestürzt wurde – ein Thema, das immer wieder vorkommt, auch hier. Noch ein Lebensthema: Maya wächst bei den Großeltern auf – die meisten Allende-Charaktere haben keinen präsenten Vater.

"Mayas Tagebuch" erzählt von Drogentrips, die auch Allendes Stieftochter erlebte und daran zugrunde ging. Das erinnert an den Roman "Paula", in dem Allende den Tod ihrer Tochter (sie starb mit 28 an einer Stoffwechselerkrankung) verarbeitete.

Isabel Allende trägt als Mensch und als Schriftstellerin ihr Herz auf der Zunge. Sie schreibt inbrünstig, voll Freude am Erzählen. Erfrischend, doch vor Freude schlägt sie hin und wieder über die Stränge: "Mein Körper ist ein reifer Pfirsich, und wenn er nicht bald vernascht wird, fällt er vom Baum und zermatscht am Boden zwischen den Ameisen." Und sie will (zu) viel: Es geht um Drogen und Entzug, erste Liebe, Rassenproblematik, Pinochet. Über all das stülpt Allende die Haube einer Familiengeschichte. Das beult die Haube manchmal aus. Schön ist, wie liebevoll, sanft spöttelnd, sie den Spinnereien ihrer alten Heimat Chile begegnet. Nur, wer die Allende gar nicht mag, nennt das kitschig.