Kultur

Vater und Sohn, die stärkste Armee

Héléne hatte Musik zusammengestellt und oft gemeinsam mit Melvil gehört. Ein Lied von Henri Salvador, von Françoise Hardy, von Bourvil ... Es sollte ihr Vermächtnis werden. Es sollte ihrem Mann Hilfe sein.

Nachdem Héléne am 13. November 2015 im Pariser Konzertsaal Le Bataclan von Terroristen ermordet wurde, eines von 90 Opfern, hat Witwer Antoine Leiris den 17 Monate alten Sohn aus seiner schrecklichen Unsicherheit gerissen, was denn los sei, plötzlich ohne Mama.

Er hat ihre Musik gespielt und Melvil Fotos gezeigt, und gesagt hat er dem Kleinen, dass Mama nicht zurückkommen werde, dass sie einen Unfall hatte, dass es nicht Melvils Schuld sei und Mama jetzt viel lieber bei ihm wäre.

Und Melvil hat geweint, wie er noch nie geweint hat. Das waren nicht Tränen der Enttäuschung oder der Angst, sondern diesmal der erste wirkliche Kummer.

Tote Seelen

Danach hat Antoine Leiris auf Facebook den berühmt gewordenen Text gestellt, mit dem er die Terroristen direkt ansprach:

"Meinen Hass bekommt ihr nicht."

Es wurde ein Buch daraus, das Montag in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Ein Buch, in dem der 34-Jährige – er war Radiojournalist – nur wenige Worte verliert, aber so schöne über Héléne und Melvil, schöne und erschütternde, und kluge über den Terror.

"Wir werden nie in unser Leben von vorher zurückkehren. Aber wir werden uns kein Leben gegen diese Menschen aufbauen. Wir werden mit unserem eigenen Leben weitermachen."

Und: "Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen der Welt."

Antoine Leiris will nichts über die Terroristen (diese "toten Seelen") wissen. Nein, er wird ihnen nicht das Geschenk machen, sie zu hassen. Er wird ihnen keine Zeit mehr opfern.

Denn Melvil ist gerade aus seinem Mittagsschlaf aufgewacht, und mit ihm wird er jetzt spielen ... "und sein ganzes Leben lang wird dieser kleine Junge euch beleidigen, weil er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass bekommt ihr nicht".

Das Schreiben hat Leiris geholfen, und es macht anderen Mut. Zurzeit gibt der Franzose wieder Interviews, und es sei ihm in den vergangenen Monaten immer deutlicher geworden:

Kultur müsse die Reaktion auf das Grauen sein.

Der Terror dürfe nicht zur Niederlage des Denkens führen.

Und das Lachen darf nie aufhören: Im Buch besuchen Vater und Sohn das Grab, und der Vater hüpft mit einem Bein in eine Lacke. Da lacht der Sohn.


Antoine Leiris:
„Meinen Hass bekommt ihr nicht“
Übersetzt von
Doris Heinemann.
Blanvalet Verlag.
144 Seiten.
12,40 Euro.