Kultur

Ute Lemper: Eine rote Federboa auf Reisen ...

Auf eine Reise durch das Leben möchte sie uns mitnehmen. Die führt dann musikalisch um die halbe Welt – auf den Spuren des Tangos. Berlin, Buenos Aires, New York, Paris ...

Mit einer Reminiszenz an den Film "Der blaue Engel" und Marlene Dietrichs "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt ..." kam Ute Lemper beim Salzburger Jazzherbst Samstag im nicht ausverkauften Großen Festspielhaus auf die Bühne.

Von der allerer­sten Minute an ist klar: Das Mädel aus dem deutschen Münster, das im Reinhardt-Seminar in Wien gelernt und eine Broadway-Karriere gemacht hat, braucht viel Platz, bewegt sich im langen, schwarzen Abendkleid tänzerisch intensiv, spielerisch und extravagant zwischen dem Konzertflügel links, auf dem sie sich später rekeln wird, und dem Bandoneonspieler Marcelo Jaime Nisinman rechts außen.

"Last Tango in Berlin" heißt das Programm, das mit Preziosen aus der "Drei­groschenoper" in eine morbide Welt eintaucht: "In jene Zeit, die längst vergangen ist."

Spiel mir das Lied von damals ... Die Begleitband tut’s mit Zurückhaltung, gibt den Rahmen für die exaltierte Performance der Sängerin, deren Herz für die Welt der Außenseiter und ihren verführerischen Hauch von Dekadenz schlägt.

Alle sind sie versammelt: die fesche Lola, der alte Bilbaomond, die Seeräuberjenny und Polly, Mackie Messers schöne Braut, der Alabama-Song, die haltlose Anbetung des Dollar-Mondes ...

Assoziativ und Irrwitzig

Nur: So frei interpretiert hat man die Songs noch nicht gehört, so dekonstruiert und fast schon skelettiert, oft nur kurz angespielt und zitiert und exzessiv jazzig extemporiert, aber stets bar jeder Süßlichkeit.

Das kühle, biegsame Timbre der Lemper gibt den Klassikern das Als-ob, die heitere Parodie, die sie so unbeschwert traurig macht. Mit dem ebenso kokett wie passend eingefügten Bert-Brecht-Text "Ich weiß ja nicht, ob Ihnen so was grad gefällt ..." – Es fügt sich alles ideal: Brecht, der den Zuschauer denken, und die Lemper, die den Zuschauer staunen machen will.

Ihre Hommage an den Tango-König Astor Piazzolla beginnt mit einem Stück voller Düsternis über den Weltuntergang direkt nach 1931. Melancholisch auch "Oblivion". Fernab jeder Tango-Romantik für Tanzschüler reizt die Chansonnière, die auf der Bühne gern zu einem Geschöpf der Nacht mutiert, die Extreme dieses Genres aus: Sie singt über Liebe, Tod, Leidenschaft und Sehnsucht. Sie schreit und schluchzt, haucht und wispert, wechselt von Verzweiflung zu sehnsuchtsvoller Hoffnung. Sie wirbelt mit einer roten Federboa über die Bühne, erzählt eine wie vom Irrsinn gestreifte Geschichte über das Accessoire, das von der feschen Lola über die Kontinente wandert, weiter und weiter gegeben wird, um am Ende bei Helmut Kohl und Angela Merkel zu landen.

Der Tango ist dramatisch, aggressiv, voller Sehnsucht und Verzweiflung. Da schlüpft die Chanteuse problemlos rein, wird zur Femme fatale, zur exotischen Dame der Nacht. Mit Piazzollas "Ballade für die Verrückten" sind die Wahnsinnigen, die Tagträumer angesprochen.

"Jedes dieser Lieder ist wie ein Otto-Dix-Gemälde", sagt die Künstlerin, eine Glückliche, die vom Unglück fasziniert ist. "Da geht es nicht nur um romantische Liebe, sondern vor allem auch um die Unmöglichkeit, glücklich zu sein."

Dann hat die Lemper noch einen Koffer in Berlin und ein Rendezvous mit Jacques Brels "Amsterdam", macht Gänsehaut mit dem Chanson "Ne me quitte pas", ehe die Reise mit "Milord" , zum Mitpfeifen fürs Publikum, im Paris der Edith Piaf endet.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Fazit: Eine Jazz-Gala für Tagträumer

Programm: Der deutsche Weltstar Ute Lemper mit Wohnsitz New York hat noch einen Koffer in Berlin: Ausge- hend von der Musik Kurt Weills, der dort seine ersten Tangos schrieb, führte die Chanteuse in „Last Tango in Berlin“ beim Salzburger Jazzherbst im Großen Festspielhaus musikalisch um die halbe Welt – stets auf den Spuren des Tangos.

Konzert: Keine konventionelle Song-Titel-Revue, sondern sehr frei interpretierte Klassiker von Weill, Piazzolla, Brel, Piaf u. a.