Trotzdem ist es möglich, anständig zu bleiben
Von Peter Pisa
Sehr sympathisch ist das: Es wird vom Berliner Aufbau Verlag nicht vorzutäuschen versucht, "Kleiner Mann – was nun?" aus dem Jahr 1932 sei etwas ganz Neues geworden.
Man hatte sich erstmals die Mühe gemacht, die handschriftliche Urfassung zu entziffern. Jetzt ist der Roman umfangreicher, es gibt neue Bilder vom Berliner Nachtleben, und die wichtigsten Figuren haben durch zusätzliche Dialoge noch mehr Charakter bekommen – obwohl sie schon in der früheren gekürzten Fassung Charakter bewiesen haben.
Nazis sind sie nämlich nicht geworden.
Was nun?
Es sollte Grund genug für die (vielleicht neuerliche) Lektüre sein: Der 84-jährige Roman "Kleiner Mann – was nun?" ist aktuell.
Denn es ist auch heute kaum möglich, ungerupft durchs Leben zu gehen.
Sehr wohl ist es möglich, trotzdem anständig zu bleiben. Menschlich.
Hans Fallada beantwortete in Briefen, nachdem sein Roman kurz vor Machtergreifung der Nationalsozialisten ein Welterfolg geworden war, des Öfteren die Titelfrage:
Nein, er selbst habe keine Ahnung, "was nun" ...
Aber die Erlösung, so ließ er gern durchblicken, könnte im Privaten liegen ... wenn man ein gutes Team bildet wie der Berliner Hannes Pinneberg und seine Frau Emma, genannt Lämmchen.
Das schaffen wir schon, Junge!
Wir können uns Erdäpfel braten. Wir können in eine Ein-Zimmer-Wohnung übersiedeln. Wir können flicken, putzen ... reg dich nicht auf, mein Junge!
Sie ist der Trumpf.
Nun sind ja schreiende, kämpferische Romane (wie von Upton Sinclair) kein Fehler, sondern wünschenswertes Sprachrohr. Aber Kritiker haben seinerzeit von diesem Buch deshalb geschwärmt, weil es so etwas Herrliches darstellt in Dreckszeiten.
Es war die Weltwirtschaftskrise.
Zu spät
Der Lohn wird immer weniger, sofern man überhaupt welchen bekommt.
Pinneberg hat kurzfristig Glück und zunächst einen Job als Buchhalter mit 180 Mark im Monat. Der Arzt, der Lämmchens Schwangerschaft feststellt, verlangt dafür 15 Mark.
Danach kommt Pinneberg als Verkäufer in einem Kaufhaus unter. Nur 140 Mark im Monat.Als sein Baby, der Murkel, fiebert und er sich in der Früh um medizinische Hilfe bemüht, ist er um 20 Minuten zu spät am Arbeitsplatz.
Personalberater sind keine neue Erfindung, damals hieß so jemand Organisator. Für 3000 Mark im Monat gibt er Tipps, wie man sparen kann.
Und Pinneberg fliegt.
Einer aus der Masse der Arbeitslosen erlaubt sich die Feststellung:
Nicht "Angestellter" sollte es heißen, sondern "Angeschissener".
Noch ein altes Wort gefällt: zwiebeln. Lass dich nicht zwiebeln.
Nicht ärgern lassen.
Hans Fallada:
„Kleiner Mann – was nun?“
Nachwort von
Carsten Gansel.
Aufbau Verlag.
448 Seiten.
23,60 Euro.