Kultur

"Terror" in den Kammerspielen: Feuer aus der Philosophiekanone

Es ist ein gewaltiger Erfolg, so groß, dass eine eigene Webseite (terror.theater) Statistik führt. 1.604 Mal wurde Ferdinand von Schirachs Stück " Terror" bisher aufgeführt, liest man dort, ebenso oft durfte das Publikum über eine Frage zwischen Laienrecht, Philosophie und Supermarkt-Werbung (die mit dem Hausverstand) abstimmen.

Bei 92 Prozent dieser Aufführungen sagte das Publikum: Nicht schuldig.

Es geht um einen Eurofighter-Piloten, der gegen die Order ein von einem Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abschießt. 164 Menschen sind ihm weniger Wert als jene Zigtausende, die sterben, wenn das Flugzeug in ein Fußballstadion stürzt.

War das Mord? Oder ist der Pilot freizusprechen?

Das Stück ist clever konstruiert, zwar ein bisschen im luftleeren Raum (warum das Stadion nicht geräumt wurde, wird halbgar erklärt), aber doch so, dass das Publikum mitgeht.

Auch nun bei der Premiere in den Kammerspielen.

Ergebnis: Nicht schuldig.

Scherenschnitte

Filmregisseur Julian Pölsler setzt bei seiner ersten Theaterarbeit auf ein reines Frauenensemble, um zu sehen, ob sich die Dynamik verändert. Was aber wirkungslos blieb. Denn auf der Bühne sah man keine Menschen, sondern, wie es sich für eine Versuchsanordnung gehört, Scherenschnitte, um nicht zu sagen Klischees – die zackige Soldatin, die angriffige Verteidigerin. Diese schneiden aus der Komplexität des Falles kleine verdaubare Happen heraus, die den Schöffen, also dem Publikum, dann vorgelegt werden.

Dementsprechend eindimensional blieben die Darstellerinnen des zentralen Quartetts: Julia Stemberger (Richterin), Pauline Knof als Kampfpilotin, Martina Stilp-Scheiflinger als Verteidigerin und Susa Meyer als Staatsanwältin. Sie arbeiten die verschiedenen Konfliktstellen (Recht versus Moral) und Konfliktbehauptungen (Verteidigerin und Staatsanwältin keifen einander offenbar gerne an) ab.

Am Schluss dann gibt es Plädoyers: Recht muss Recht bleiben, sagt die Staatsanwältin, begründet mit Salven aus der deutschen Philosophiekanone (Immanuel Kant!). Die Verteidigerin versteigt sich gar in unhistorische Aberwitzigkeiten. Wir sind im Krieg! Wir sind bedroht wie nie zuvor in der Geschichte! Echt jetzt?

Wir sind, vor allem, in Deutschland, was den Schmäh des Stücks doch deutlich schmälert. Denn das Publikum stimmt letztlich über Fragen der deutschen Verfassung ab, die eine Luftwaffen-Soldatin verletzt haben könnte. Geht es Ihnen auch so, dass Ihnen die Finessen des deutschen Verfassungsrechts nicht immer gleich gegenwärtig sind?

Man dürfte sich eine Ein-Österreicherung wünschen; dann würde der Freispruch wohl auch nicht mit "übergesetzlichem Notstand", sondern mit "entschuldigendem Notstand" begründet.

Filmzuspielungen addieren eine persönliche Ebene der Handelnden; am Schluss gibt es einen Abspann mit den fiktiven Namen und Geburtsdaten der fiktiven Toten, der ausgerechnet mit den zwei jüngsten endet . Nicht der einzige plakative Moment.