"Tabu": "C" ist freundlicher als "K"
Von Peter Pisa
Puccini hätte so gern eine Operette komponiert, und Emmerich Kálmán hätte so gern eine Oper komponiert – aber sie haben es nicht getan, und das war wahrscheinlich ein Glück.
Der Berliner Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat in seinen erfolgreichen, teils verfilmten Kurzgeschichtensammlungen „ Verbrechen“ und „Schuld“ mehrere Schicksale derart geschickt skelettiert, dass es nach eleganter Literatur aussah.
Danach jedoch wollte er nicht nur lange Geschichten schreiben, sondern tat es auch. Das war schon 2011 in „Der Fall Collini“ ein Problem, weil man bei 200 Seiten halt ordentlich Fleisch drauflegen muss, zumindest Sex, traurigen Sex.
Und es ist im eben erschienenen Roman „Tabu“ ein Problem, weil der 49-Jährige auf diesmal 250 Seiten vor allem eines macht, nämlich schwindlig.
Unterm Strich bleibt bei allen seinen Bemühungen bloß: Da gibt es einen Künstler mit trauriger Biografie, der steht im Verdacht, eine junge Frau umgebracht zu haben.
Man weiß nicht wen.
Blut hat man gefunden.
Was ist wirklich? Was ist wahr?
Man hört, der Autor schrieb 18 Monate täglich sechs Stunden am Buch. Man hört, er habe dabei 20 Kilo abgenommen.
Man hört, sehr oft sei er in der Berliner Nationalgalerie vor Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Mönch am Meer“ gesessen.
Die Einsamkeit aus dem Bild versuchte er in Worte zu fassen. Und in Hermann von Helmholtz’ Farbenlehre lernte er: Grünes, rotes und blaues Licht, in gleicher Weise gemischt, erscheint weiß.
Deshalb tragen die Abschnitte im Roman diese Farben im Titel. Am Ende wäscht demnach Weiß von Schuld rein.
Ferdinand von Schirach ist Synästhetiker. Wie seine unter Mordverdacht stehende Hauptfigur. Er verknüpft Dinge mit Farben. Ein „A“ verknüpft er mit der roten Strickjacke seiner Lehrerin, ein „C“ ist ein freundlicheres Grün als das dunkle „K“ ...
Das musste auch noch ins Buch hinein.
Dazu kommen noch die Tabus, die der Autor unterbringt. Selbstmord etwa, Pornografie, Folter.
Vergeben
Alles bissl viel. Verwirrend viel. Man will eigentlich nur wissen, ob der Künstler, dessen Kindheit und Jugend man lange Zeit verfolgt hat, mordete oder nicht.
Und dann tut Ferdinand von Schirach diesmal etwas, wovor es sich immer gehütet hat: Er philosophiert überdeutlich.
Der alt und müde gewordene Strafverteidiger im Buch (und das ist sogar eine der schöneren Stellen!) sagt irgendwann, dass wir unseren Feinden vergeben können, allen – aber:
„Den Einzigen, denen wir nicht vergeben können, das sind wir selbst. Und daran scheitern wir.“
KURIER-Wertung:
INFO: Ferdinand von Schirach: „Tabu“ Piper Verlag. 254 Seiten. 18,50 Euro.