Superfestival am Anfang von Ende einer Ära
"Wir, die Rolling Stones, Neil Young, Bob Dylan, Roger Waters und Paul McCartney alle auf einem Festival – das ist großartig!" Mit diesen Worten kündigte Roger Daltrey in der BBC an, dass seine Band The Who zusammen den Rolling Stones, Roger Waters, Bob Dylan, Paul McCartney und Neil Young Anfang Oktober beim "Desert Trip Festival" auftreten wird. Dabei wurde er auch nachdenklich: "Man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Wir sind die letzten unserer Generation und wir werden nicht viel älter werden. Das sieht man schon an den vielen Nachrufen, die wir in den letzten Monaten lesen mussten."
Freiheitsdrang
Tatsächlich häuften sich kürzlich mit Prince, David Bowie, Lemmy Kilmister und Keith Emerson die Todesfälle innerhalb jener Generation von Musikern, die die Rock-Szene begründet und bestimmt und so viele richtungsweisende Songs und Alben geschaffen haben. Längst sind die von der Außenseiter-Kunst rebellischer Freaks zu von den Massen geliebten und in allen Gesellschaftsschichten anerkannten Klassikern mutiert.
Großen Anteil daran, dass gerade diese Musiker so ikonisch werden konnten, hatte das soziale Klima in der Zeit Anfang der 60er-Jahre. "Die Gesellschaft nach dem Krieg war höchst restriktiv und konservativ", erklärt Michael Huber, Musik-Soziologe an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. "Man war peinlich bemüht, nichts falsch zu machen. Es gab viele Verbote und Normen, wenig Freiheit. Plötzlich kamen da Typen, die sich nichts gepfiffen haben. Sie klangen rebellisch, traten rebellisch auf. Sie waren ein Ventil für die Jugend, die sich in den starren Strukturen der Elterngeneration unterdrückt fühlte."
Ungebremst kreativ
Und es gab jede Menge Jugendliche – es war die Zeit, in der die Babyboomer-Generation groß wurde. Die Teenager sogen auf, was die Beatles und die Rolling Stones, The Who und The Doors boten. Denn alles daran war neu: Der Sound der E-Gitarren, später der von Synthesizern. Die Musiker konnten damit nach Herzenslust experimentieren und ihr Talent in Ruhe entwickeln. Denn es gab Langzeit-Plattenverträge. Es war kein Problem, wenn erst das dritte oder vierte Album erfolgreich war. Außerdem richtete sich die Industrie, die damals noch keine Big Business war, nach dem Output der Kreativen – und nicht umgekehrt.
Für Alan Edwards, der als CEO der britischen PR-Agentur Outside Organisation mit David Bowie, Prince und fast allen anderen Größen der Zeit gearbeitet hat, liegt der Siegeszug der Rockmusik am komplett neuen Mix aus Blues, Rock ’n’ Roll, Pop, Psychedelia und Soul. Vor allem aber an den sozialen Entwicklungen der Zeit, in der neben der von der Erfindung der Pille ausgelösten sexuellen Revolution auch viele andere revolutionäre Bewegungen angelegt waren.
Geheimnisvoll
"Der Feminismus kam auf, es gab die Vietnamkrieg-Proteste, die Friedensbewegung", sagt Edwards. "Umweltschutz und Drogen wurden zum Thema. Die Musik war die Speerspitze der Veränderungen und eines alternativen Lebensstils, der heute Mainstream geworden ist." Auch das "mediale Vakuum" von damals ist für Edwards ein wichtiger Faktor: "Es gab wenige Magazine, kaum TV-Stationen und oft Zensur. So waren die Musiker von eigenen Ideen und ihrer Fantasie abhängig. Dadurch waren sie originell und authentisch. Und sie konnten als Stars unerreichbar bleiben, sich mit einer geheimnisvollen Aura umgeben."
"Damals erschienen weit weniger Platten, es gab nur ein überschaubare Menge von Musikern. Und man musste ihren Werken nachjagen. Die neue Beatles-Single gab es nicht in jedem Kaff. Leute sparten darauf, nach London zu fliegen, um dort die Platten zu kaufen. Und die Texte waren voll mit Botschaften, aber häufig zweideutig. Ist "Come Together" eine Anspielung auf Sexualität oder ein Aufruf zur Revolution? Man weiß es nicht! Aber durch diese Rätselhaftigkeit konnte sich jeder mit seiner eigenen Lebensgeschichte darin wiederfinden."