Kultur

Suche nach dem vollen Glas

Meryl Streep hat sich die Filmrechte gesichert. Eine kurze TV-Serie soll aus "Geister" werden. Streep will die Mutter spielen.

Das ist verständlich.

Dann kann sie gleich in einer der ersten Szenen dem extrem konservativen US-Präsidentschaftskandidaten Packer eine Handvoll Kieselsteine ins Gesicht schleudern.

Und ein zweites Mal noch wird auf den 900 Romanseiten (die sich rasch lesen) von Steinchen die Rede sein. Wenn es heißt:

"Manche Leute gehen durchs Leben wie ein Kieselstein, der in einen Teich fällt. Sie verursachen kaum einen Spritzer."

Die Schwierigkeiten, richtige Entscheidungen zu treffen, damit es wenigstens für kurze Zeit tuscht und saust und rauscht – darum geht es in dieser Tragikomödie unter anderem.

Und wenn sie auch nichts Neues zu sagen hat: Sie unterhält bestens.

Ohne Bären

"Geister" ist der erste Roman des 40-jährigen Amerikaners Nathan Hill. Zehn Jahre hat er daran gearbeitet.

Er löst damit Gefühle aus, die man bei den schönsten Büchern John Irvings hatte. Nämlich Freude, dass man lesen kann und darf.

Hill erinnert mit dieser Mutter-Sohn-Geschichte zwar an Irving, aber schreibt nicht wie Irving. Er ist härter. Direkter. Ohne Bären und Ringer, aber mit einer Reise durch die Zeitgeschichte und in die Welt hinein.

Meryl Streep muss eine etwa 60-Jährige spielen. Sie heißt dann Faye Anderson und hat einen Sohn. Samuel ist 30. Mutter hat ihn (und den Tiefkühlkostvertretervater) über Nacht verlassen, als er elf war.

Nach 20 Jahren

Samuel hat nun selbst eine Ehe hinter sich, er ist ein unbedeutender Literaturlehrer an einer unbedeutenden Uni, er spielt nächtelang am PC ein Spiel ähnlich "World of Warcraft". Da erfährt man immer, was zu tun ist, um zu gewinnen.

Im Leben fühlt er sich als Verlierer: Die Einzige, die er je geliebt hat, hat er nie gekriegt. Als Schriftsteller hat er fast nichts geschrieben ... und von Mutter hört er erst nach 20 Jahren wieder. Übers TV.

Alle reden von der Kieselattacke. Mutter wird einerseits als Heldin gefeiert, andererseits droht ihr Gefängnis als "radikal-terroristische Hippie-Prostituierte".

Terroristin okay. Aber wieso Prostituierte?

Weil damals, 1968 ...

Der Sohn erforscht, wer Mutter war und wer sie ist, warum sie fortging und wohin. Er hat von einem Verlag den Auftrag, ihre Biografie zu schreiben – sehr gern wird er sie öffentlich zerfleischen.

Es gibt in "Geister" tolle Nebenfiguren, bis in die kleinste Rolle bestens besetzt sozusagen. Auch eine Frau, die in den Wäldern Indianas die europäische Knoblauchrauke auszurotten versucht, ist Oscar-würdig.

Wassermann

Im Original heißt der Roman "The Nix", und Nix ist ein Name für den Wassermann, und der Wassermann ist Symbol für das Triebhafte, für unsere Schattenseite.

Womit Mutters Verhalten klarer wird. Sagen wir so: "Man hat Durst und denkt an ein großes Glas Wasser, randvoll. Man fantasiert. Es ist nicht da. Aber eine schmutzige Lacke ist da, voller Schlamm ..."

Ehe ist so schön.

Wir werden in drei Wochen von Jonathan Safran Foer im Roman "Hier bin ich" noch auf andere Art erzählt bekommen, ob das etwas bedeutet: Zuhause ...

Nathan Hill:
„Geister“
Übersetzt von
Werner Löcher-Lawrence und Katrin Behringer.
Piper Verlag. 858 Seiten. 25,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern