"Strudelgood": Eels lieferten rockige Wien-Show
Von Peter Temel
Wenn die Vollbartdichte im Publikum höher ist als bei anderen Konzerten, dann ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass Mark Oliver Everett in der Stadt ist – der musikalische Schutzpatron aller Großstadtwerwölfe, die des Nachts sehnsuchtsvoll den Mond anheulen. Unter seinem Pseudonym E ist er Reibeisenstimme, Gitarrist und kreatives Zentrum der äußerst produktiven Independent-Rockband The Eels.
Am Sonntag hatten die „Hombre Lobos“ (span. Werwölfe) aus Wien und weiterer Umgebung im gut gefüllten Gasometer nach längerer Abstinenz wieder das Vergnügen, der US-Band zu lauschen. Aber keineswegs in andächtiger, abgeklärter Hipster-Attitüde, wie die Einheitstracht der fünf Musiker vermuten ließ, welche in schwarzen Adidas-Jogginganzügen und Sonnenbrillen auf die Bühne schlapften. Soviel kann schon verraten werden: E machte seiner Band und dem Publikum ordentlich Feuer unterm Gesäß.
Gut gelaunt
Und das Haus wurde ordentlich durchgeschüttelt: E pickte vor allem die flotteren Nummern aus dem Album heraus und bestritt damit gut die Hälfte des abwechslungsreichen Sets. Mit gleich drei Gitarren wurden Lieder wie „Kinda fuzzy“, „Open my Present“ mit einer ordentlichen Portion Rock aufgeladen. Das hatte den Effekt, dass die neuen Songs auch live sofort zündeten. Die mit einem rauen Schweinefunk-Riff ausgestattete Single „Peach Blossom“ erinnert im besten Sinne an das große Kreativköpfchen Beck, äußerst druckvoll kam „Tremendous Dynamite“ aus dem Album „Hombre Lobo“ daher. Selbst ältere Hits wie „Fresh Feeling“ und „Souljacker, Part 1“ wurden in ungewohnt flottem Tempo serviert. Das machte richtig Laune auf mehr.
Apfelstrudel und Sängerknabe
Und E forderte mehr, erwies sich als Publikumsanheizer und schrie „More, more!“ oder „Danke, Schatzi!“ Der Mann aus Virginia gab aber auch den launigen Dompteur: Immer wieder fütterte das Eels-Mastermind seine Musiker zur Belohnung mit Apfelstrudel, den ein Diener am Tablett auf die Bühne brachte.
Der Weißclown stammt übrigens von der Vorgruppe "Puddles Pity Party", die vor Singer/Songwriterin Nicole Atkins den Abend eröffnet hatte.
Kontrastreiche Show
Dass Blues Rock im Geist der Sechziger und Siebziger für die Liveshow Pate standen, unterstrich man nicht zuletzt mit dem fetzigen Fleetwood-Mac-Cover „Oh well“. Aber weil Everett weiß, dass kein Konzert ohne Kontraste funktioniert, wurde auch die psychedelische Popnummer „Itchycoo Park“ gecovert. Der Gute-Laune-Refrain „It's all too beautiful!“ aus dem Small Faces-Song kann auch sinnbildlich für die zweite Seite des Abends gesehen werden: Everetts funkelnde Balladen wie „On the Ropes“ oder „Turnaround“, die mit der richtigen Portion Gefühl, geschicktem Spannungsaufbau und sphärisch perlenden Gitarrenklängen aufwarten. Und ja, dazu lässt sich der Mond trefflich anheulen.
Damit war aber noch lange nicht Schluss. Nach einer kollektiven Stärkung mit Strudel folgte der ausladende Zugabenteil. Zunächst servierten die blendend gelaunten Eels „I'm Your Brave Little Soldier“ und den eingängigen Hit „Mr. E's Beautiful Blues“. „God damn right, it’s a beautiful day, ahah ...“ - davon war das johlende Publikum ebenso überzeugt. Zum zweiten Mal holte man die Band zurück auf die Bühne. In fast schon unverschämt cooler Manier wurde noch „Fresh Blood“ draufgepackt. Denn Werwölfe brauchen nicht nur Strudel, sondern auch frisches Blut.
"Hidden Track" als Epilog
Dann gingen alle Lichter an, worauf sich die durchgeschwitzte Meute schon Richtung Ausgang orientierte. Aber das war nur von scheinbarer Endgültigkeit. Die eingeschworene Fanbasis hatte die Setlists der vergangenen Tourauftritte aufmerksam studiert und harrte geduldig vor der Bühne aus. Dass die Bühnenarbeiter die Instrumente nur halbherzig abbauten, war ein untrügliches Zeichen: Da geht noch was.
Und tatsächlich versammelten sich die Eels noch einmal in voller Mannstärke und lieferten eine Art "Hidden Track" nach. Die darob in gespielte Verzweiflung ausbrechenden Bühnenarbeiter wurden zu „Dog Faced Boy“ in eine letzte skurrile Show eingebunden. Jetzt war Freak-Out angesagt: Eine Frau mit Affenmaske (ebenfalls von "Puddles Pity Party") führte einen wilden Veitstanz mit aufblasbarer Banane auf – und auch der hünenhafte Sängerknaben-Clown war wieder da, jetzt mit Goldkrönchen auf dem Haupt.
Mit einer filmreifen gestreckten Rechten versetzte er E einen finalen Niederschlag. Worauf der Chef entgeistert die Bühne verließ. Nun war endgültig die Verrücktheit König – und schnallte sich in Person des Clowns die Gitarre um. Die verbliebenen Bandmitglieder spielten zu dieser durchgeknallten, theatralischen Szenerie sinnigerweise Led Zeppelins „Dazed And Confused“. Im Zustand perfekter Verwirrung wurden die in ansehnlicher Anzahl zurückgekehrten Fans - nun wirklich endgültig - in die laue Nacht entlassen. So ist das Werwolf-Dasein „strudelgood“, wie es Mr. E ausdrücken würde.
(Peter Temel)
KURIER-Wertung: ***** von *****