Soundinstallation Heldenplatz: Aus anderen Gründen irritierend
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg behalf sich die Post: Sie verwendete die Marken des untergegangenen Deutschen Reiches – und bedruckte sie mit "Österreich".
Der österreichische Konzept- und Medienkünstler Richard Kriesche versuchte vor einigen Jahren, das Porträt des "Führers" aus dem Schriftzug zu eliminieren. Das Ergebnis: Adolf Hitler schimmert weiterhin durch. Und das ist gut so. Es wäre, meint Kriesche, fatal, wenn die unheilvolle Vergangenheit ausradiert, übertüncht, verdrängt würde. Die NS-Zeit ist und bleibt gegenwärtig.
Das Haus der Geschichte Österreich, das ab November in der Neuen Burg eine Ausstellung anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Republik zeigen wird, geht einen anderen Weg: Direktorin Monika Sommer und ihr Team vermeiden nach Möglichkeit das Wort "Hitler-Balkon". Den Söller, von dem aus Hitler am 15. März 1938 vor geschätzten 200.000 Menschen den "Anschluss" Österreichs, nun "Ostmark", ans Deutsche Reich verkündete, bezeichnen sie konsequent als "Altan". Der Begriff ist richtig. Denn der "Hitler-Balkon", der auf einem Gebäudeteil, dem Eingang, ruht, ist eben kein Balkon, er ist auch keine Terrasse: Er ist tatsächlich ein Altan oder Söller. Aber mit diesem Fachbegriff, den wohl nur wenige kennen, wird Geschichte negiert: die Geschichte der letzten 80 Jahre, in denen man vom "Hitler-Balkon" sprach.
Sicher, nicht nur der hysterisch schreiende "Führer", auch der Holocaust-Überlebende und Nobelpreisträger Elie Wiesel sprach vom "Hitler-Balkon". Das war 1992. Er meinte, dass eine Läuterung nicht von dort oben, sondern nur von unten, von den Menschen kommen könne. Dieser Satz bildet den Ausgangspunkt für eine temporäre Soundinstallation, die am Montag zu Mittag erstmals erklang – und bis Mitte November zweimal täglich, jeweils um 12.30 und 18.30 Uhr, zu vernehmen sein soll.
Die ursprüngliche Idee war, mit signalhafter Kunst im öffentlichen Raum, die Mahnmal-artig den Hitler-Balkon thematisiert, auch auf das Haus der Geschichte hinzuweisen. Immerhin ist der Söller zentraler Bestandteil dieses Geschichtemuseums – solange es in der Neuen Burg geduldet wird.
Auch Sommer bekannte sich bei ihrer Bestellung zur Idee von künstlerischen Interventionen.
Dass die Plattform nicht von Selfie-süchtigen Besuchern betreten werden soll, liegt auf der Hand. Doch das Haus der Geschichte verzichtet auf jegliche direkte Konfrontation mit dem kontaminierten Ort: Die schottische, in Berlin lebende Künstlerin Susan Philipsz war eingeladen worden, eine "nicht wieder bildprägende" Intervention zu schaffen. Das ist ihr mit "The Voices" tatsächlich geglückt: Wenn man die Ohren spitzt, hört man aus vier weißen Lautsprecherboxen am Heldenplatz singendes, sirrendes Glas. Philipsz erzeugte die Klänge, indem sie mit dem Zeigefinger über die Ränder von vier unterschiedlich großen, mit Wasser gefüllten Weingläsern strich. Sie wolle damit, so die 1965 in Glasgow geborene Künstlerin, auch jenen eine Stimmen geben, die durch das NS-Terrorregime gewaltsam zum Schweigen gebracht wurden.
Allerdings ist die Installation derart "filigran" und "zart", so die verwendeten Beiwörter, dass sie von den Passanten kaum – schon gar nicht als "irritierend" – wahrgenommen werden kann. Sollte doch jemand, der die Hofburg entlang der Achse durchschreitet, das Sirren hören: Er könnte gar nicht verstehen, was dieses bedeutet. Denn just dort werden keine Begleithefte verteilt.
Sehr wohl irritierend ist aber die völlig intransparente Entscheidungsfindung. Man hätte zum Beispiel einen geladenen Wettbewerb ausloben können. Aus ihren Biografien heraus hätten sich zum Beispiel Ruth Beckermann, Jochen Gerz, Peter Weibel, Lawrence Weiner oder Jenny Holzer angeboten. Oder Hans Haacke, der 1988 in Graz einen NS-Obelisken über die Mariensäule stülpte. Diese Rekonstruktion, im Rahmen der exemplarischen Schau "Bezugspunkte 38/ 88" des Festivals "steirischer herbst" entstanden, ließ tatsächlich erschaudern (und wurde leider von einem Neo-Nazi in Brand gesteckt).
Man hätte auch Kriesche einbeziehen können. Immerhin hatte er vorgeschlagen, die Schatten der Vergangenheit zu visualisieren. Er durfte seine Überlegungen aber nicht einmal darlegen. Obwohl auch die Historikerin Heidemarie Uhl im Begleitheft meint, dass Hitlers Rede "wie ein Schatten" über dem Heldenplatz liege.
Dabei ist es doch so einfach: Susan Philipsz hatte 2016 eine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Dieses wird seit 2015 von Thomas D. Trummer geleitet. Und Trummer ist Mitglied der Jury, die Philipsz beauftragte.