Sonny Rollins mit fettem Sound im Konzerthaus
Er steht mit rundem Rücken auf der Bühne. Das Gehen fällt ihm schon ein bisschen schwer. Das graue Haar steht dem Zweimetermann wild sprießend in alle Richtungen vom Kopf ab.
Sobald der alte Herr, den sie "Saxophone Colossus" nennen, im weißen Jacket zu spielen beginnt, sind sie da: die unverwechselbar rauen Töne, der fette, kraftvolle Sound, die rhythmische Phrasierung, die weit gespannten Melodiebögen ...
Für Miles Davis war Sonny Rollins der Größte am Tenor-Saxofon. Neben Ornette Coleman, Pharoah Sanders und Archie Shepp ist der 82-Jährige die letzte lebende Legende seiner Generation. Sein Set Samstag im Konzerthaus besteht aus sieben langen Jams:
Der Marlene-Dietrich-Standard "Falling In Love Again" ("Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt") aus dem Film "Der blaue Engel" – Rollins interpretiert den langsamen Walzer von Friedrich Hollaender – eine der populärsten Musiken aller Zeiten – verspielt und frisch geföhnt.
Karibik-Sound
Bekanntlich hat Rollins eine große Liebe zu populären Songs, wobei er das Thema doch ständig verwandelt, es sogar mit Leidenschaft gegen den Strich bürstet. Dann geht die musikalische Reise weiter in die Karibik: Mit "St. Thomas" hat Rollins, immer noch unermüdlich auf der Suche nach dem ultimativen Klang, vor einem halben Jahrhundert den Calypso in den Jazz eingeführt. Rollins’ Neffe Clifton Anderson spielt kreuzbrav eine batzweiche Old-Style-Posaune, für deren Klang Jay Jay Johnson das Vorbild abgegeben haben könnte.
Auf die Ballade "J. J." folgt "Patanjali": Rollins hat den perkusssiven Song seinem indischen Yogalehrer gewidmet und lässt das Sax singen und jubilieren. Die fast irritierend simple Melodik wächst sich erneut zu mäandernden Improvisationen aus.
Faszinierend, wie er Ricardo Drigos "Serenade", eine Reminiszenz aus den "Radio Days" seiner frühen Jugend, kunstvoll dekonstruiert, mit Zitaten und ausgefransten Intervallen spickt, Töne schwenkend, auf der Bühne umherschlendert, immer wieder neue Assoziationsketten aufbaut und schließlich zum Thema zurückkehrt, dass sich plötzlich alles zu einem Bild zusammenfügt.
"Don’t Stop Carnival" als Ausklang hat einen Beat, funky, feurig und trotzdem relaxed. Standing Ovations. Aber keine Zugabe.
KURIER-Wertung: **** von *****