Kultur

Solaris - Von Stanislaw Lem

Science-Fiction und große Literatur kommen nicht oft zusammen. Gelungen ist diese Verbindung etwa bei Isaac Asimov, Ray Bradbury, George Orwell oder Jules Verne – und beim polnischen Philosophen und Schriftsteller Stanislaw Lem. Dessen bekanntestes Werk ist sein 1961 erschienener RomanSolaris“, der nicht zuletzt durch die kongeniale Verfilmung von Andrei Tarkowski auch im Westen höchste Anerkennung fand (die Neuverfilmung mit George Clooney kann man getrost, wohlwollend gesagt, vernachlässigen).

Solaris“ kommt ganz ohne Raumschlachten und genretypischen Action-Szenen daher, ist aber doch reinste Science-Fiction: Der Psychologe Kris Kelvin wird in ferner Zukunft zu einer Forschungsstation geschickt, die dicht über dem Planeten Solaris kreist: ein geheimnisvoller Ort, seit Jahrzehnten Gegenstand der Forschung und doch völlig unentschlüsselt. Solaris ist von einem Ozean bedeckt, der immer neue Formen bildet, in hypnotischen Farben leuchtet und intelligent zu handeln scheint. Eine gigantische Lebensform? Oder bloß ein physikalischer Effekt? Die Menschheit rätselt erfolglos. Als Kelvin auf der Station eintrifft, findet er sie in üblem Zustand vor: Einer der Astronauten hat Selbstmord begangen, die anderen beiden wirken verwahrlost, verstört und ängstlich. Eindringlich warnen sie Kelvin vor ominösen „Besuchern“. Die lassen nicht lange auf sich warten: Als Kelvin zum ersten Mal aus seinem Schlaf erwacht, sitzt Harey neben ihm. Seine Frau. Nur dass sie schon vor vielen Jahren Selbstmord beging, eine Tat, für die sich Kelvin noch immer verantwortlich fühlt. Er glaubt an einen Traum, Harey aber ist real. Und mehr: Sie liebt ihn noch immer und weiß nichts von ihrem Suizid. Es stellt sich heraus, dass jedes Besatzungsmitglied von ähnlichen Doubles gequält wird – Solaris scheint aus dem schlafenden Unterbewusstsein das auszulösen, was die Menschen im Innersten beschäftigt. Doch eine Kommunikation mit der fremden Lebensform ist nicht möglich: Die seltsamen „Gäste“ der Raumstation haben kein Bewusstsein von sich selbst, sind nur Spiegel und Projektionen der Forscher. Und sie sind unsterblich: Jeder Tötungsversuch der Richtung Wahnsinn driftenden Crew misslingt, die Besucher erscheinen wieder – unversehrt und ohne Erinnerung. Es ist faszinierend zu sehen, auf wie vielen Ebenen Stanislaw Lem in „Solaris“ arbeitet: Er thematisiert zum einen die Psyche der Wissenschaftler, ihre Verdrängung und Schuldverstrickung. Zum anderen verteilt der polnische Schriftsteller heftige Seitenhiebe der ironischen Art, wenn er immer wieder die (fiktive) „Forschungsliteratur“ zu Solaris zitiert und die sich in hanebüchenen Theorien selbst ad absurdum führt. Und schließlich lesen Lems Beschreibungen jenes extraterrestrischen Ozeans sich wie Lyrik oder Träume, erinnern mit ihrer visuellen Kraft an die Schlusssequenz von Kubricks „2011: Odyssee im Weltraum“.

Alle Inhalte anzeigen

Auch in seinen anderen Romanen nutzte der 1921 in Lemberg geborene und 2006 in Krakau verstorbene Lem das Weltall nicht für technische Zukunftsvisionen, sondern als Ort für Philosophie und Selbsterkenntnis – Überlegungen, die wie in „Solaris“ meist in Skepsis gegenüber unserer Art endeten. Mit seinen Science-Fiction-Büchern machte er das Genre salonfähig, mit „Solaris“ stieß er tief in die Rätsel des Universums vor. Nicht in jene von Sternenhaufen und Galaxien, sondern in die der menschlichen Selbsterkenntnis. Denn die Grundfrage im Roman lautet: Wie soll der Mensch eine fremde Intelligenz begreifen, wenn er sich noch nicht einmal selbst versteht?