Der tägliche Martini hielt Ehen zusammen
Von Peter Pisa
Die Nachbarin ruft an. Sie klingt schon leicht beschwipst. Spontan lädt sie zur Cocktailparty: Ihr Mann hat nämlich eine Gehaltserhöhung bekommen.
Das war im Amerika der 1950er-Jahre bei Durchschnittsverdienern durchaus üblich. Ohne Essen. Dafür war die Küche zu klein.
Nur Martinis und Highballs.
Tom Rath und seine Frau Betsy werden nicht zur Party gehen. Sie bleiben lieber daheim und überlegen, wie sie zu einem schöneren Häuschen in schönerer Gegend und zu Geld für die Ausbildung ihrer drei Kinder kommen können.
Lassen wir uns einlullen von „Der Mann im grauen Flanell“. Das gelang Sloan Wilsons Roman, als er 1955 erstmals erschienen ist. Das ist ab 1956 in der Verfilmung mit Gregory Peck noch einmal gelungen.
Die Gesichtslosen – auch wenn sie heute keinen Flanell tragen – sind zeitlos.
Die stille Verzweiflung der meisten sowieso.
Dabei wäre Tom durchaus zufrieden. Seine Frau treibt ihn an: „Seit du wieder da bist, willst du eigentlich nicht mehr viel. Du arbeitest hart, aber im Grunde versuchst du es gar nicht richtig.“
Tom war erst vor ein paar Jahren aus dem Krieg heimgekommen.
Er hatte als Fallschirmschütze gegen Deutsche und Japaner gekämpft, hatte Menschen erschossen, irrtümlich auch einen Freund, hatte sich in eine Römerin verliebt, mit ihr ein Kind gezeugt (jessas, das muss er Betsy noch beichten) ... darf er bitte jetzt ein bissl Ruhe haben?
Darf ihm der Riss an der Wand egal sein?
In Ordnung
Es wird alles gut. Tom wird sich in seinem neuen Job in Arbeit einbetonieren, ehe er beschließt, doch lieber mehr mit seiner Familie zusammen zu sein.
Er wird das große alte Haus der Großmutter erben, er wird ihren ehemaligen Bediensteten, diesen Gauner, in die Schranken weisen – und er wird den unehelichen Sohn in Italien finanziell unterstützen können.
Mit Betsys Wissen.
Sie ist eine so wunderbare Frau.
Das Leben ist gerecht zu dieser Familie – und warum?
Weil Tom eine ehrliche Haut ist.
Im Roman – zumindest in der besseren ersten Hälfte – zeigt der amerikanische Schriftsteller Sloan Wilson (1920–2003) immerhin ein bisschen Humor.
Und wenn man sieht, wie eine Ehe durch die tägliche Gabe eines Martini nach der Arbeit frisch gehalten wird, ist das recht unterhaltsam.
Nein, Schatz, Eis ist leider keines da.
Oliven gibt’s auch keine.
Macht nichts, bei den Raths schmeckt der warme, fade Cocktail immer: Vor allem, weil die Fünfziger ein Vergnügen sind – im Rückblick, nur im Rückblick.
KURIER-Wertung: **** von *****