Kultur

Sizilianische Pompenade mit Schwertwal und Dingsda

Ein Matrose der ehemaligen Königlichen Marine geht heim.

Der Hafen von Neapel ist – September 1943 – von den Alliierten eingenommen worden. Was soll er noch dort?

Matrose ’Ndrja Cambria geht die Küste entlang, er versucht, von Kalabrien (von Skylla) ins sizilianische Heimatdorf Charybdis zu gelangen. Schwierig. Im Krieg ist vieles untergegangen. Nicht nur die Fischerboote und Fähren in der Straße von Messina. ’Ndrja Cambria schafft die Überfahrt mithilfe einer Nymphe mit gar mächtigen Schenkeln. Aber da drüben ist keine Heimat mehr.

Dingsda

Schöne, kleine Geschichte ... die 1400 Seiten braucht; die eine Sprache hat, die hatten wir noch nie; die Wörter hat, die gibt es gar nicht.

In morgandischer Frühe kadavert der Strand.

Die Pellisquadre (Fischer) sind minjon.

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Der Portempedocle lacht über den Boccadopa, und zwar durchsichtig lacht er.

Ein Alter holt sein Chinesischedingsda aus der Hose – was eine mameluckische Wirkung hat, und schlägt wie mit einem Säbel um sich ...

Man merkt: Eine ziemliche Pompenade (ein Firlefanz) ist das.

Aber auch Arkelamekk (etwas Faszinierendes), das neben James Joyce’ Ulysses und Musils Mann ohne Eigenschaften gut aufgehoben ist.

(Für die Pension?)

"H" und "y"

Moshe Kahn, der ab sofort eine Auszeichnung nach der anderen abräumen wird, hat "Horcynus Orca" innerhalb von acht Jahren aus dem Italienischen übersetzt.

Besser: aus dem (mitunter erfundenen) Sizilianischen.

Noch besser: Neu erarbeitet hat Moshe Kahn den Romangiganten. In einem anderen Ton, damit der alte Ton erhalten bleibt. Capisisti?

Was seit Erstveröffentlichung 1975 (bei Mondadori in Mailand) als unübersetzbar galt, soll nach dem ersten so geglückten Versuch in die Welt hinaus gehen.

Als der bedeutendste Roman Italiens überhaupt.

Manche Schöpfungen ließ Kahn – dem wir auch deutsche Bücher von Primo Levi, Pasolini und Camilleri verdanken – "unbearbeitet" stehen.

Dass mit dem Horcynus Orca der mittels "H" und "y" mythisch gemachte Orcinus orca, der Schwertwal, gemeint ist und manchmal als Orcinuse oder Orcaferon oder schlicht als der Tod geschwommen kommt – das versteht man irgendwann.

Wenn man sich Zeit lässt.

Möpse egal

Kahn las über zwei Jahre, bevor er sich leidenschaftlich an die riskante Arbeit machte.

Er konnte vorher den Autor ... den Dichter Stefano D’Arrigo (1919–1992) sogar noch in Rom treffen und umarmen und ihn zum Beispiel fragen, wer denn die Feren sind, die den Orca angreifen. (Es sind wilde, sehr wilde Delfine.)

Es ging D’Arrigo allein um die Sprache. Ernst Jandl hatte ja auch kein Interesse an Möpsen. Überhaupt keines. Es ging ihm bloß um die vielen schönen "O".

Es ging ihm nur darum, dass Ottos Mops kotzt.

D’Arrigo wollte uns in einem eben entdeckten Wörtermeer seekrank machen. Niemanden wiegt er in Sicherheit. Wer seinem Rhythmus und den uralten Geschichten nicht folgt, der hängt an der Reling.

Mops lässt grüßen.

Wer jedoch jeden Buchstaben ernst nimmt, so ernst, dass er sich manchmal den Luxus gönnt und zurückblättert ... der schaukelt und reitet über die Wellen, wie es sonst nicht mehr möglich ist in diesen Zeiten, in denen sich fast jeder einbildet, zumindest einen unnötigen Krimi auf den traurigen Buchmarkt werfen zu müssen.

KURIER-Wertung: