Simon Verhoeven: "Die skeptischen Fragen zum Islam sind auch meine"
Von Thomas Trenkler
KURIER: Genau vor einem Jahr kam Ihre Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" in die Kinos, nun folgt die Adaptierung für die Bühne – von Angelika Hager. Sie selbst wären nicht auf die Idee gekommen?
Simon Verhoeven: Ich dachte schon, dass der Film auch als Theaterstück funktionieren könnte. Aber das Gleiche noch einmal als Stück zu schreiben – das hat mich nicht gereizt. Daher war ich sehr dankbar über die Anfrage des Burgtheaters.
Auch wenn es zu gröberen Abänderungen kommt? Die Handlung wurde nach Wien verlegt.
Für meine Wiener Oma wäre diese Inszenierung der erste Beweis gewesen, dass ich es zu etwas gebracht habe. Ich glaube, sie hätte vor Freude geweint. Film ist immer noch etwas anderes. Aber Theater! Burgtheater! Da hab’ ich natürlich freie Hand gegeben. Es stimmt, die Theaterfassung ist viel schriller. Regisseur Peter Wittenberg brennt für den Stoff, die Umsetzung ist ziemlich verrückt, nicht boulevardistisch-naturalistisch, recht fantasievoll. Alles ist abstrahiert, alles passiert mehr oder weniger gleichzeitig. So würde ich das bezeichnen – als ein Filmmensch, der immer mit konkreten Sets arbeiten muss und nun in die Theaterwelt reingestolpert ist.
Im Film spielt Ihre Mutter, Senta Berger, die weibliche Hauptrolle: eine pensionierte Lehrerin, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert – und einen Nigerianer aufnimmt. Was bei den Hartmanns zu Konflikten führt.
Das Drehen mit ihr hat wirklich Spaß gemacht. Nur ein einziges Mal musste ich mich hart durchsetzen. Ansonsten war es ein wunderbarer Tanz zwischen uns. Auch wenn es gewöhnungsbedürftig war, am Set dauernd vor dem Team "Mama" zu sagen.
Ihr Vater ist der Filmregisseur Michael Verhoeven. War es daher logisch, dass Sie dem Metier treu bleiben?
Ich bin tatsächlich mit Film aufgewachsen. Mein Vater ist mit mir jeden Sonntag zu den Filmmatineen gegangen, zu Charlie Chaplin, Stan und Olli, die Disney-Filme. Und zu Hause hab’ ich dann den Film der Familie nachgespielt. In einem kleinen Bühnenbild. Alle mussten sich hinsetzen, das war mir ganz wichtig. Die Filmverrücktheit war also in mir angelegt. Aber das ist ja auch normal. Ich glaube, meine Eltern hätten sich sehr gewundert, wenn ich gesagt hätte, dass ich Jura studieren möchte.
Warum Film und nicht Theater?
Mit 13 hab’ ich ein kleines Stück geschrieben, das in der Schule aufgeführt wurde. Aber die Begeisterung für Film war in den 80er-Jahren größer – aufgrund von "E.T." und anderen Filmen. Ich war in einer Clique, in der alle zum Film wollten. Wir haben uns immer Stoffe überlegt.
Ihre Mutter, eine Schönheit, wurde hofiert und begehrt. Wie sind Sie damit umgegangen?
Es gab sehr viele Männer, die meiner Mutter die Hand küssen wollten. Und wenn man als Kind dabei ist, dann findet der Handkuss unmittelbar vor einem in Augenhöhe statt. Man kriegt auch, nett gesagt, die Bewunderung mit. Wir, mein Bruder und ich, waren damals immer bewaffnet – mit einem Ritterschwert aus Holz oder Plastik. Wir haben gerne auf die Männer eingeprügelt, die meiner Mutter nahekommen wollten. Weil es uns genervt hat. Auch ich fand meine Mutter schön. Ich war eifersüchtig. Es ging aber nicht nur um die Männer. Auch wenn man die Situation als Kind nicht reflektieren kann, so realisiert man doch, dass man immer beobachtet wird, auch im Supermarkt. Und dass getuschelt wird. Das irritiert einen schon. Denn zu Hause sind wir völlig normal aufgewachsen. Meine Mutter kam aus kleinen Verhältnissen – und hatte nie irgendwelche Starallüren. Aber dann geht man hinaus – und wird sogleich angestarrt oder verfolgt. Oder es stehen wildfremde Menschen vor der Tür, darunter Geisteskranke, die dann von der Polizei abgeholt werden. Das ist einem als Kind nicht geheuer.
Und später, in der Pubertät?
Welche Dimension die Berühmtheit meiner Mutter hat, wurde mir erst so richtig nach der Fernsehserie "Kir Royal" von Helmut Dietl bewusst: Als die ganze Klasse, der ganze Pausenhof über meine Mutter gesprochen hat. Ich war schon stolz auf sie. Meine Eltern haben sich ihre Erfolge hart erarbeitet. Und sie sind Maniacs. Mein Vater saß andauernd hinter dem Schreibtisch: schreiben, Drehbuch bearbeiten, Finanzierung aufstellen. Das Drehen von einem Film ist ja nur der Ausnahmefall. Der Weg dahin ist furchtbar mühsam. Das Gute ist: Ich hatte nie die Illusion, die andere vielleicht haben. Eben dass man auf roten Teppichen geht.
Ihr Vater beschäftigte sich in etlichen Filmen, darunter "Die weiße Rose", mit dem Nationalsozialismus; Sie hingegen drehen Komödien. Gibt es daher familienintern Diskussionen – zum Beispiel über Haltung?
Meine Eltern sind streitbar. Ob das Frühstücksei durch oder die Nahostpolitik richtig ist: Beides wird mit der gleichen Vehemenz diskutiert. Aber mein Vater ist sanft. Vielleicht deshalb, weil er einen sehr autoritären Vater hatte. Er hat sich das Ziel gesetzt, mich so sein zu lassen, wie ich bin. Er verlangt Disziplin, da verstehen beide Elternteile keinen Spaß. Aber er hat mich immer darin bestärkt, den künstlerischen Weg einzuschlagen, den ich glaubte, einschlagen zu müssen. Er verlangt daher keinen Holocaust-Film von mir. Denn in einer gewissen Weise setze ich schon seine Arbeit fort: Weil sich meine Filme durchaus ernsthaft mit Menschen auseinandersetzen. Für meinen Vater ist "Willkommen bei den Hartmanns" ein auch politisch relevanter Beitrag zum Thema Asyl. Klar, man kann auch ein ganz realistisches Flüchtlingsdrama drehen. Aber ob er dieses Spektrum der Sichtweisen zeigt? Da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, die Komödie war die beste Form.
War "Monsieur Claude und seine Töchter" ein Vorbild? Auch da geht es um Vorurteile.
Also ich finde meinen Film lustiger, feiner. Aber er hat einen unglaublichen Nerv getroffen. Und er hat mich ermutigt, das Thema aufzugreifen. Ich dachte: Aha, es gibt dafür ein Publikum, ein erwachsenes Publikum.
Der Titel erinnert an "Willkommen bei den Sch’tis". Bewusst?
Ein charmanter Film. Mich hat es geärgert, dass es den Titel gab. Aber "Willkommen bei den Hartmanns" passte eben so perfekt für meinen Film. Weil er an die deutsche Willkommenskultur anknüpft, runtergebrochen auf die Hartmanns.
Die Asyl-Problematik ist nicht neu. Aber im Jahr 2015 schwappte die Welle der Flüchtlinge über alle Grenzen hinweg. Bereits wenige Monate später konnten Sie mit einem fertigen Film aufwarten. War das Zufall?
Ich arbeite immer an mehreren Stoffen. Denn man weiß ja nicht, welchen Film man hochbringt. 2013 fing ich an, eine Serie über eine Familie zu entwickeln. Eben die Hartmanns. Mir gefiel der Name; ich muss immer schmunzeln, wenn ich an ihn denke. Die Figuren waren gut, aber irgendetwas fehlte. Im März 2015 fragte ich mich spontan: Was wäre, wenn die Familie für eine Episode einen Flüchtling aufnimmt? Ein paar Sekunden später wusste ich: Vergiss die Serie! Der Flüchtling und die Familie – das ist ein Film! Am Anfang behandelte ich das Thema noch sehr unschuldig, wie eine Situation in einem Loriot-Film: als Komödie über die Peinlichkeiten in einer gutbürgerlichen Familie, wenn ein Afrikaner auftaucht. Aber dann, im Herbst 2015, wurde ich von der Aktualität beinahe überrollt. Ich fragte mich, ob ich ihr gerecht werden könnte. Der Termin fürs Drehen stand fest, alle Schauspieler hatten zugesagt. Ich musste das Buch so umschreiben, dass der Film auch noch in einem Jahr gültig sein würde. Das war ein Ritt auf der Rasierklinge.
Was kam hinzu?
Ich wusste, dass ich verwegen sein muss, und ließ einen Terroristen im Flüchtlingsheim untertauchen. Man riet mir davon ab: So etwas gäbe es nicht, man dürfe die Thematik nicht mit dem Terrorismus vermengen. Mittlerweile wissen wir, dass es so etwas durchaus geben kann. Oder die letzte Szene, nach der Anerkennung des Asylantrags: Diallo witzelt, dass nun seine Familie nachkommen könnte. Richard Hartmann, gespielt von Heiner Lauterbach, ist total entsetzt. Diallo sagt: "Ach, nur Spaß!" Und worüber wird jetzt, bei den Koalitionsverhandlungen in Deutschland, am hitzigsten diskutiert? Über den Familiennachzug.
Es gibt ein Happyend für den Flüchtling. Eine Abschiebung wäre undenkbar gewesen?
Ich habe mir das zwar überlegt. Aber es geht im Film um die Anstrengung einer Familie, wieder zu sich zu finden, und dazu um die Anstrengung eines Flüchtlings, eine Heimat zu finden. Wenn man zum Schluss die Erwartung, die man die ganze Zeit über genährt hast, zerstört, dann wäre das ziemlich unbefriedigend – selbst für Arthouse-Kino-Zuschauer. Daher: nein. Das ist Boulevardfilm, vielleicht ein intelligenter, aber eben ein Boulevardfilm. Was ich dennoch versucht habe: Dass der Film nicht platt abschließt. Die skeptischen Fragen, die Heiner Lauterbach zum Islam und zur Position Europas stellt, sind durchaus auch meine: Wie soll man mit den Flüchtlingen umgehen? Was können wir leisten? Ist es richtig, dass wir Anreize schaffen? Wäre es nicht besser, wenn wir versuchten, dass die Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive finden? Ich finde, es sollte eine offene, unverkrampfte Diskussion möglich sein. Denn wenn man sie nicht zulässt, stärkt man den Extremismus.
Ihre Erfolgskomödie "Männerherzen" hat eine Fortsetzung bekommen. Wäre das auch bei den Hartmanns möglich?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Familie Hartmann nach Afrika geht, um dort Entwicklungshilfe zu leisten. Das ist eine komödiantische Situation. Aber ich würde das nicht auf Teufel komm raus nur des Geldes wegen umsetzen. Denn ich möchte nicht, dass man sich denkt: Das war jetzt aber nicht nötig.
Daher ein anderes Projekt?
Ich würde gerne eine Parodie übers Filmgeschäft machen. Aber ich habe noch kein Drehbuch. Die Hartmanns haben mich viel Kraft gekostet. Ich lasse mir Zeit. Wenn ich etwas Konkretes weiß: Dann verrate ich es Ihnen!