Siegfried Lenz: Das "unmögliche" Buch ist ein später Triumph
Von Peter Pisa
"Der Überläufer" ist jener Roman von Siegfried Lenz (1926 – 2014), den der Verlagslektor, ein Volkskundler, verhinderte.
Das war 1951, und er gab dem damals 25-jährigen Autor den heißen Tipp: Einen "Fahrplan" soll er zuerst aufschreiben, auf drei bis vier Seiten, in Stichworten. "Dann setzen Sie, in Übereinkunft mit uns, den Fahrplan in Erzählung um."
Den ersten Teil des Romans ließ der Vogel (Pardon) ja noch gelten und fand sogar, er packe die Leser am Genick.
Da griffen polnische Partisanen eine keuchende Eisenbahn an, und ein deutscher Soldat entdeckte Dynamit ... das gefiel. Es schien zum ursprünglichen Titel des Manuskripts zu passen: " ... da gibt’s ein Wiedersehn".
Eine Liedzeile aus dem Film "Morgenrot", der die soldatische Pflichterfüllung lobpreist ("In der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehn").
Aber das war voreilig vom Lektor, und im zweiten Teil lag der Grund für die Ablehnung: Der deutsche Soldat Walter Proska aus Ostpreußen läuft zur Roten Armee über, wegen der hübschen Partsanin Wanda, um sein Leben zu retten und um die entmenschten deutschen Befehlshaber zu beseitigen.
Der Lektor teilte Siegfried Lenz mit: "Sie können sich maßlos schaden ... Wir beraten Sie doch nicht, weil wir akademische Besserwissen wären, sondern weil wir Zeit und Entwicklung kennen ..."
"Der Überläufer" – so wollte der Autor letztlich seinen Roman nennen – sei UNMÖGLICH. Und: Lenz möge nicht erwägen, "ein neues Buch schreiben zu wollen."
Entdeckung
Dieser Dr. Otto Görner aus Karlsruhe starb bald danach, und Lenz vergaß den Text. Der Text landete in einer Schachtel, die Schachtel landete im Keller zwischen anderen handgeschriebenen Manuskripten, die zu berühmten Büchern wie "Deutschstunde" geworden waren – und jetzt ist er erschienen, mit 65 Jahren Verspätung.
Ein großer Roman.
Lenz’ Witwe Ulla ist in Hochstimmung, weil er vom Literaturarchiv in Marbach entdeckt worden war; und weil sich alle freuen, dass er nun vorliegt und so modern ist und erinnert – auch daran erinnert, dass wir Assistenten unseres Gewissens sind.
Siegfried Lenz:
„Der Überläufer“
Hoffmann und Campe Verlag.
368 Seiten.
25,70 Euro.
Hörbuch um 25,99 Euro.
Es liest Burghart Klaussner.