Kultur

"Sie ist echt und keine Superheldin"

Es ist das erfolgreichste Kino-Franchise für Jugendliche nach Ende der "Twilight"-Reihe. 1,5 Milliarden US-Dollar spielten die ersten zwei Verfilmungen der "Tribute von Panem" weltweit ein. Nun kommt das finale dritte Buch von Suzanne Collins’ Science-Fiction-Trilogie in zwei Teilen in die Kinos. Wodurch sich diese Summe zumindest verdoppeln könnte.

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Für Regisseur Francis Lawrence hat die Zweiteilung vor allem erzählerische Vorteile. Im Gespräch mit dem KURIER sagt der in Wien geborene Kalifornier (auf Englisch): "Wir sahen im dritten Buch zwei eigenständige Geschichten. Außerdem konnten wir so insgesamt vier Stunden Film drehen und mehr aus dem Buch fürs Kino beibehalten."

Nachdem die ersten beiden Filme im Zeichen der " Hunger Games" standen – Gladiatorenspiele, in denen Jugendliche, von TV-Kameras verfolgt, ums Überleben kämpfen – ist Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) nun einer neuen Gefahr ausgesetzt. Das Kapitol Panems bekämpft die durch ihren Symbolstatus befeuerte Rebellion brutal: Verwüstung ganzer Distrikte und Staatsterror.

Propagandakrieg

Ungewöhnlich für einen US-Blockbuster, wird medienpolitischen Aspekten viel Raum gegeben. "Teil eins von ,Mockingjay‘ handelt vom Propagandakrieg", erklärt Lawrence. "Es geht um das Sich-Bekriegen über den Äther. Man kann auch beobachten, wie Leute als Symbole eingesetzt werden. Die Rebellen wollen, dass Katniss in Videos etwas vorspielt. Aber das funktioniert nicht. Es muss echt sein. Daher muss sie in die reale Welt hinausgehen."

Katniss steht in den Trümmern ihrer Heimatstadt und wird von einem Kamerateam begleitet. Erst ihr Blick, konfrontiert mit Gräueltaten, zeigt Wirkung. "Ein schreckliches Ereignis wird zerhackt und zu einem inspirierenden Schnipsel hochgejazzt. Das fand ich zwingend", meint Lawrence, der seit Teil 2 ("Catching Fire") an Bord ist.

Auf der Gegenseite wird Katniss’ geliebter Freund Peeta (Josh Hutcherson) in Propagandashows des Kapitols eingesetzt. Dennoch zögert Katniss, als Revolutionsfigur "Mockingjay" anzutreten.

"Es ist sehr komplex", sagt Lawrence. "Sie ist wie ein Fisch im Trockenen, weiß nicht, wem sie trauen soll. Plötzlich lebt sie in einer Zivilisation unter der Erde, fühlt sich betrogen, die Last auf ihren Schultern wiegt schwer." Lawrence findet es "erfrischend, dass sie ein echter, vertrauenswürdiger Mensch ist und keine Superheldin." Das primär jugendliche Publikum könne so nachvollziehen, "dass ein Individuum die Welt verändern kann", meint der Regisseur. "Auch die Auswirkungen von Krieg wollen wir zeigen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Krieg immer schmutzig ist, und nie schwarz oder weiß."

Instinktiv

Oscarpreisträgerin Jennifer Lawrence (24) spielt Katniss beeindruckend glaubwürdig. Der Regisseur über seine Namensvetterin: "Jen probt nicht viel, spricht auch kaum über ihre Rolle. Sie macht das so instinktiv, saugt alles in sich auf. Wenn dann die anderen Kollegen da sind, ist sie plötzlich Katniss. Sie kann das wie mit einem Lichtschalter an- und ausknipsen."

Der Stratege der Rebellion, Heavensbee, wurde von Philip Seymour Hoffman verkörpert. "Sein Tod machte mich wirklich traurig", so Lawrence. "Er war so talentiert, einer der besten – vielleicht aller Generationen." Weil Hoffman während der Dreharbeiten starb, musste das Drehbuch geändert werden, weil man ihn keinesfalls digital kopieren wollte.

Generell plädiert er für möglichst wenig Digitaleffekte. "Alles, was du in echt hinkriegst, solltest du ohne Tricks machen. Schauspieler verhalten sich anders, wenn du etwa echtes Feuer verwendest. Es muss sich einfach unmittelbar und echt anfühlen."

(Interview: Peter Temel)

Zur Person: Francis Lawrence

Frühe Kindheit in WienGeboren 1971 in Wien, im selben Krankenhaus wie Christoph Waltz, wie er selbst sagt. Seine Familie zog aber nach Los Angeles, als er drei Jahre alt war. Mit Waltz, Reese Witherspoon und Robert Pattinson drehte Lawrence 2011 den Film "Wasser für die Elefanten". Seinen ersten Spielfilm legte er 2005 mit "Constantine" (mit Keanu Reeves) vor. 2007 folgte "I Am Legend" mit Will Smith. 2013 inszenierte er den zweiten Teil von "Die Tribute von Panem": "Catching Fire".

MusikvideosLawrence machte sich auch als Regisseur von Musikvideos einen Namen. Er inszenierte Videos von Britney Spears, The Black Eyed Peas, Avril Lavigne, Aerosmith, Jennifer Lopez, Lady Gaga, Pink und Shakira. Auch für zahlreiche Werbespots zeichnet der Kalifornier verantwortlich. 2011 wurde Lawrence für "Bad Romance" von Lady Gaga mit dem Grammy Award fürs beste Musikvideo ausgezeichnet.

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Das Spiel ist aus, aber die Show muss weitergehen. Im abschließenden Teil drei der mit Riesenerfolg verfilmten Roman-Trilogie von Suzanne Collins stehen die Zeichen auf Krieg im Staate Panem. Da das dritte Buch fürs Kino zweigeteilt wurde, ist "Mockingjay: Teil 1" eine Art Vorspiel zum kriegerischen Finale im nächsten Jahr.

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Die "Hunger Games", bei denen Jahr für Jahr jugendliche Kämpfer aus den Distrikten Panems als Tribute geopfert werden, sind vorerst Geschichte. Katniss (Jennifer Lawrence) befindet sich, nachdem sie bei den letzten Hungerspielen erfolgreich ausgeflogen werden konnte, im zerstörten Distrikt 13, einer Rebellenhochburg, die im Untergrund zu suchen ist. In einer unterirdischen Stadt schmieden hier die resolute Alma Coin (Julianne Moore) und Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman †) Pläne für den Sieg gegen die Diktatur des dekadenten Kapitols. Als Symbolfigur dafür soll abermals Katniss dienen. Als "Spotttölpel", ein in der Nachrichtenübertragung geübter Singvogel (engl. Mockingjay), soll sie die Revolution weitertragen. Das ist nicht der einzige Beitrag zu "Medien in Theorie und Praxis" in diesem ungewöhnlichen US-Blockbuster.

Propagandakrieg

Auch wenn der reale Krieg noch aussteht, ist der Propagandakrieg längst ausgebrochen. Im Kampf der Bilder werden Katniss und der geliebte Kamerad Peeta gegeneinander ausgespielt. Letzterer befindet sich in Händen des Kapitols und bittet die Rebellen um Frieden. Diese wiederum hacken sich in die TV-Übertragung ein und schneiden Katniss beim Singen eines Revolutionsliedes ohne ihr Wissen ins Fernsehbild.

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Optisch ist "Mockingjay: Teil 1" noch düsterer und hermetischer als dieVorgänger. Fast alles spielt sich in grauen Räumen und in zerbombten Städten ab. Wodurch die hervorragenden Schauspieler im Zentrum stehen.

Jennifer Lawrence wirkt im Hin- und Hergerissensein zwischen dem Überleben ihrer Liebsten und der Sache der Revolution nicht nur darstellerisch äußerst glaubwürdig, sie singt zwischendurch auch noch hinreißend. Josh Hutcherson gefällt als psychisch angeschlagener Peeta, während Liam Hemsworth als Gale weiterhin den treuen Gefährten gibt. Bemerkenswert wie immer ist Philip Seymour Hoffman, der in seiner letzten Rolle noch einmal seine zurückhaltend-zwingende Dramatik zeigt, mit lakonischer Abgeklärtheit die Fäden ziehend.

Durch die Teilung des Finales erhielt Regisseur Francis Lawrence viel Zeit, um die Geschichte zu entwickeln. Freilich bedeutet dies auch zweimal Zugang zu den Kinokassen. Aber: In zwei Stunden eine von Diktatur geschändete, zukünftige Welt im Vorfeld eines Krieges zu etablieren, bewegt wohl auch mehr in den Köpfen als ein einziger dreistündiger, mit Handlung vollgestopfter Kraftakt.

INFO: "Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil 1". Science Fiction/Abenteuer. USA 2014. 125 Min. Von: Francis Lawrence. Mit: Jennifer Lawrence, Liam Hemsworth, Josh Hutcherson, Julianne Moore, Philip Seymour Hoffman, Woody Harrelson, Stanley Tucci, Elizabeth Banks, Natalie Dormer, Wes Bentley.

KURIER-Wertung:

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