Schwierige Suche nach dem geraden Körper
Von Peter Pisa
Es ist ja nicht so, dass einem der Mund offen steht wegen des großen Interesses an der Ausgangssituation:
Vor 27 Jahren ist in Paris eine Luxusprostituierte vergewaltigt und erdrosselt worden, 19 war sie, und jetzt hat man einen Verdächtigen.
Einen Bankangestellten, dem allerdings niemand das Verbrechen zutraut, nicht einmal die Polizei. Dem ist etwas in die Schuhe geschoben worden. Von wem?
Einer, nur einer will den wahren Täter suchen: Der Reporter Marc Rappaport ist bekannt dafür, dass er sich um Fälle kümmert, über die leider niemand Genaueres wissen und lesen mag. Dass er trotzdem auf lange Recherche gehen darf, hat den Grund: Der Chefredakteur ist sein Freund.
Warum ist Marc so stur?
Kalaschnikow
Stellt man sich diese Frage, hat der Roman "Die Schuld der anderen" bereits gewonnen. Der Blick wird sich weit öffnen, damit konnte man anfangs nicht rechnen.
Er wandert zu den chinesischen Bordellen in Paris, zu Gustav Mahlers Ängsten ... es wird ins Land einigschaut, nach Frankreich, eine Kalaschnikow kostet in Marseille 300 Euro, Mitterrand verstaatlicht Industrie-Unternehmen, ein Chemiekonzern gefährdet seine Arbeiter mit Krebserregern ...
So kommen wir zeitweise (scheinbar) weit weg vom Mord; und man wird mit der Lebenslüge konfrontiert, die nur wahrnehmen lässt, was ins Weltbild passt.
Ist das französisch?
Gila Lustiger – Jahrgang 1963 – ist Deutsche, studierte in Jerusalem Germanistik, lebt in Paris.
Die Tochter des jüdischen Historikers Arno Lustiger ( 2012) wurde als "Kopfmensch" erzogen, aber in ihrem Roman "So sind wir" (2005) spürte sie ihre Familie intensiv und offen und hatte großen Erfolg.
Großvater
"Die Schuld der anderen" ist ja auch das: eine Großvatergeschichte inmitten von Politik, Wirtschaft, Korruption.
Denn so mutig kann der Journalist Rappaport gar nicht sein, dass er aufzudecken vergisst, aus welchem Nest er selbst stammt.
Ein Prostituiertenmord – und derart viel wird erzählt. Derart viel interessiert. Gila Lustiger hat diesmal weniger Futter für den Bauch, aber der Kopf bekommt genug: Er bekommt auch Marx, der die Zeit sah, als Liebe, Überzeugung und Gewissen zu Handelssachen wurden.
Und die chinesische Weisheit bekommt man: "Wenn der Körper gerade ist, spielt es keine Rolle, dass der Schatten krumm ist."
KURIER-Wertung: