Kultur

Schriftsteller und "Pu"-Übersetzer Harry Rowohlt ist tot

Das Buch musst du in der Übersetzung von Harry Rowohlt lesen, im Original geht da viel verloren!" Der treffendste Tweet zum Tag und zur traurigen Nachricht vom Tod eines Alleskönners:

Harry Rowohlt ist am Montagabend nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 70 Jahren in Hamburg gestorben.

Er war der Beste aller Brummbären, gesegnet mit einer sonoren Bassstimme.

Außerdem ein virtuoser Übersetzer von rund 200 Büchern u. a. von David Sedaris, Kurt Vonnegut, A. A. Milne, Flann O’Brien und Frank McCourt ("Die Asche meiner Mutter").

Er war Kult als Zeit-Kolumnist ("Pooh's Corner", die "Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand") und ein begnadeter Vorleser.

Multitalent

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Legendär auch seine Auftritte als alkoholisierter Sandler Harry in der "Lindenstraße". Seine Lieblingstugend war: "Sagen, was man denkt. Und vorher was gedacht haben."

Eigentlich hätte Harry Verleger werden sollen, wie es sich für einen Sohn von Ernst Rowohlt gehört. Aber erstens war er mit 15 Kommunist, zweitens las er lieber Bücher, als Geld mit ihnen zu verdienen. Also verkaufte er seinen geerbten Verlagsanteil Anfang der 1980er-Jahre an die Holtzbrinck- Gruppe.

Sein erstes Buch war Pu der Bär. Seitdem liebte er Bücher und Bären. Manche sagten sogar Pu zu ihm. Dabei hatte er den englischen Winnie the Pooh nur grenzgenial ins Deutsche übertragen.

>Sein wichtigstes Buch war "At Swim-Two-Birds" von Flann O'Brien, in dem zwar wenig Bären vorkommen, aber sonst so ziemlich alles, was Rowohlt gefiel: Iren, Wahnsinn und Bier.

"Das Publikum hat ein Anrecht darauf, mitzuerleben, wie der Referent sich zugrunde richtet", war das Motto seiner Marathonlesungen, "Schausaufen mit Betonung" genannt. Dabei machte er seinem Ruf als "Paganini der Abschweifung" alle Ehre, erzählte etwa von einem falschen Umberto Eco und echter Kunstscheiße.

Der Norddeutsche konnte sogar Wienerisch: "Ich war da drei Monate auf Montage. Und der Deflorator meiner Mutter war Franz Reichert, genannt ‚der stramme Max‘. Da hat sie Wienerisch gelernt und es an mich weitergegeben, so dass ich das schon konnte, bevor ich nach Wien fuhr." Wo einmal eine "Wirtin anerkennend meinte, als sie hörte, dass ich Hamburger bin: ‚Ah, ein Landsmann von Freddy Quinn.‘ Und ich sagte: Der ist erstens Österreicher, zweitens schwul und hat drittens gefärbte Haare." Darauf bekam Rowohlt Lokalverbot.

Abstinent

2007 erkrankte er an Polyneuropathie: "Die Nerven sterben langsam ab, aber man hat keine kalten Füße mehr." Er war Ethanol-Abstinenzler seit 26. Juli 2007.

Aber der "Ambassador of Irish Whiskey", der sich auf ärztlichen Rat nur noch vier Mal im Jahr "die Kante geben" durfte, wusste von den Iren: "Betrunken ist, wer ohne fremde Hilfe nicht mehr auf dem Rücken liegen kann." Er nahm das Leben mit Humor – so wie er dem eigenen Nachruf den Titel gab: "Von der Wiege bis zur Biege".

Die KURIER-Freizeit bat Harry Rowohlt 2012 zum Interview. Daraus entstanden auch diese Wortspenden des brummigen Übersetzers:

Harry Rowohlt war ein unerschöpflicher Quell an Anekdoten und Meister der Abschweifung. Viele davon hat er zwischen 1989 und 1997 in seiner Zeit-Kolumne "Pooh's Corner" aufgeschrieben.

Geburt

"Ich wurde in der Hochallee 1 in Hamburg 13 geboren. Im Luftschutzkeller, als Zehn-Monats-Kind", erzählt Rowohlt seinem Freund Ralf Sotschek im Buch "In Schlucken-zwei-Spechte". Für die ersten zehn Jahre hieß er noch Harry Rupp. Damals war seine Mutter, die Schauspielerin Maria Pierenkämper, in "dritter und vorletzter Ehe" mit dem Kunstmaler Max Rupp verheiratet. Vater war dennoch Ernst Rowohlt, wie Harry betont, da Rupp "zur fraglichen Zeit" bereits in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war.

Verlagsfrage

Er war kein Freund von gesellschaftlichen Konventionen. Wer Harry Rowohlt blauäugig gefragt hat, ob er etwas mit dem gleichnamigen Verlag zu tun hat, hatte schlechte Karten. Früher musste der Frager sogar fünf Mark an eine gemeinnützige Organisation spenden. Er erbte 49 Prozent des Verlags von seinem Vater Ernst Rowohlt, wollte aber nicht dort einsteigen. Sein Vater sei fünf Mal pleite gegangen. Er sei froh, nicht in den Verlag eingetreten zu sein, "denn diese Tradition hätte ich als erstes wiederbelebt".

Pu der Bär

Sein erstes Buch war "Pu der Bär", das ihm seine Mutter vorgelesen hat. Er habe sich dann entschlossen, selbst lesen zu lernen, um es "unbehelligt von der mütterlichen Betonung" zu lesen, sagte Rowohlt.

Fünfstündige Lesungen

Legendär sind auch Harry Rowohlts Lesungen. Nicht selten dauerten sie fünf Stunden oder mehr, der Verbrauch betrug dann schon mal eine Flasche irischen Whiskeys oder zwei Flaschen Wein.

200 Bücher

An die 200 Bücher hat Harry Rowohlt seit 1969 übersetzt. In der Szene wurde immer wieder über die Freiheit gestritten, die sich der eigenwillige Rowohlt beim Übersetzen nahm. Für solche Bedenken hat er nur Spott übrig.

Übersetzer als Star

"Harry Rowohlt war der erste Übersetzer, der auf dem Cover eines Buches erschienen ist", sagte die Übersetzerin Ruth Keen einmal. "Weil er so gut, so genial ist, hat er Freiheiten, die andere nicht haben. In einer Zeit, wo Übersetzer bestenfalls im Kleingedruckten genannt wurden, hat er überhaupt mal gezeigt, wie wichtig Übersetzer sind."

Auszeichnungen

Zahlreiche Auszeichnungen untermauern dies, darunter 2005 der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk als Übersetzer.

Penner Harry

Seit 1995 spielt Harry Rowohlt den "Penner Harry" in der Endlos-Serie "Lindenstraße". In Rund 200 Folgen war er zu sehen. "Harry Rowohlt ist eine Lichtgestalt", sagt "Lindenstraßen"-Erfinder Hans W. Geißendörfer. "Er spielt den Penner und mit jedem seiner Auftritte veredelt und verzaubert er die "Lindenstraße". Unser Penner Harry ist die einzige Figur, die es geschafft hat, als "Märchen" in dem realistischen Alltag des "Lindenstraße"-Lebens sichtbar zu sein."