Kultur

Schneyder: "Ich bin tiefstes 20. Jahrhundert"

Niko Pelinka, die SPÖ, Finanzgauner, Ratingagenturen, Strache, das moderne Theater, Thomas Bernhard: Niemand entgeht der ungebrochenen Streitlust Schneyders.

KURIER: Tut Ihnen die Affäre Pelinka nicht in der Seele weh?
Werner Schneyder: Mir tut weh, dass man die Kritik an einer Partei, die staatstragend war und ist, heute an Personalgrotesken festmachen muss. Dabei müsste die Kritik doch viel tiefer gehen! Längst hätte man doch die Frage stellen müssen: Was soll Sozialdemokratie noch, wenn sie nicht einmal mehr weiß, warum sie so heißt? In meinem Programm sage ich: Diese Gesinnungsrotation wird in die österreichische Politikwissenschaft als Cap-Kreisel eingehen.

Worum geht es in der Affäre eigentlich? Um einen schwachen ORF-Chef, um einen Emporkömmling, um politischen Einfluss?
Wunderbar! Das weiß kein Mensch. Anzunehmen, dass der Niko Pelinka jetzt den Rotfunk installiert, in einem Haus, in dem Schwarz und Blau so gut abgesichert sind, das finde ich grotesk. Keiner redet über die Wurzeln. Wo steht, was genau öffentlich-rechtliches Fernsehen ist? Wo ist ein zitierbares und einklagbares Mediengesetz?

Fühlen Sie sich der Sozialdemokratie verbunden?
Ich war immer das, was man früher einen heimatlosen Linken nannte. Aber es gab natürlich Zeiten, da ich dieser Partei näherstand. Brandt, Palme, Kreisky, das war für mich eine europäische Hoffnung, danach ist das alles zerbröselt. Mich interessiert ja nicht die SPÖ – mich interessierte eine sozialistische Internationale. Und die ist ja ein Fake. Sloterdijk hat brillant formuliert: Wir haben keine Nationalsozialisten, wir habe Sozialnationale.

Wie sind Sie den Wiener Netzwerken entkommen? Das ist ja gar nicht so leicht als öffentliche Person.
Es ist dann leicht, wenn man das Glück hat, eine gewisse Karriere gemacht zu haben. Ich behaupte keine Sekunde, dass ich nicht vielleicht auch Charakterschwächen gezeigt hätte, wenn ich es mir nicht leisten hätte können, keine zu haben. Ich habe berühmten Kollegen immer gesagt: Ich verstehe nicht, dass ihr eure Stellung nicht entschiedener ausnützt! Denn was soll euch passieren? Von Bertolt Brecht gibt es einen Satz, der lautet ungefähr: In mir habt ihr einen, auf den ihr euch nicht verlassen könnt.

Es gibt die Tendenz, sich im künstlerischen Bereich politisch weniger zu artikulieren. Im Unterschied zu Claus Peymann sagen Theaterdirektoren heute kaum noch Kritisches. Muss man in Sparzeiten geschmeidig sein gegenüber der Politik?
Jeder, der ein Staatstheater leitet, muss es sich richten, im Karl-Kraus’schen Sinne. Das wäre ja die Chance einer Off-Szene, die man in Österreich ruiniert hat. Und Claus Peymann war der Ober-Ruinierer, weil er begonnen hat, jedes Damenklo zu bespielen und so den Off-Bühnen das Repertoire weggenommen hat.

Was sagen Sie zur Korruptionsrepublik Österreich?
Es ist unfassbar, dass ein paar hochintelligente Gauner in der Lage sind, ein Netzwerk aufzubauen, das die gesamte Justiz aushebelt. Die Obergroteske ist für mich, dass man jetzt ein Sparpaket in die Verfassung schreiben möchte! Wozu? Gerechtigkeit steht auch in der Verfassung – also was bringt es? Das ist eine Pose, um Institutionen zu beruhigen, die absolut fragwürdig sind.

Ich muss wieder mein Programm zitieren: Früher haben die großen Gangster Leibwächter gehabt, jetzt haben sie Ratingagenturen.

Woher kommt die Macht der Ratingagenturen?
Das Pyramidenspiel unserer globalen Gesellschaft, die Wachstumsideologie, ist an die Wand gefahren. Und jetzt müssen die einen Gauner die anderen Gauner austricksen. Der Globalangriff des Gangstertums ist nicht mehr möglich, daher braucht man pseudofachmännische Bewertungen, die bei der Spekulation helfen.

Sie waren stets ein differenzierender Kapitalismuskritiker.
Ich habe immer gesagt, wir müssen alles tun, damit wir diese Gesellschaftsordnung retten, weil wir nur in ihr die Lebensqualität finden, die wir für uns beanspruchen. Ich habe oft mit intelligenten Kapitalisten sprechen können, die haben gesagt: Wenn wir nicht teilen, werden sie uns verjagen! Und das wird der Fall sein. Ich muss leider festhalten: Da die linke Revolution versagt hat, kann die nächste nur die rechte sein.

Rechnen Sie mit einem Bundeskanzler Strache?
Das halte ich für möglich. Aber diese Schande wäre ja nicht auszudenken.

Wem trauen Sie eher zu, Strache zum Kanzler zu machen?
Allzeit den Bürgerlichen! Die werden ihn domestizieren, werden ihn vorführen und sagen "Strache neu". Dass die führenden Leute der beiden anderen großen Parteien nicht in der Lage sind, Strache keine Argumente zu liefern, das ist die Katastrophe.

Das alles sind Steilvorlagen für Satiriker.
Es gibt nichts Blöderes als die Formulierung: Das sind gute Zeiten fürs Kabarett. Denn in diesen Zeiten kann jeder die Zeitung lesen und einen Joke auf die Tagesthemen machen. Der Witz ist der, dass man in guten Zeiten – in denen die schlechten geboren werden – Entwicklungen erahnt. DAS sind für einen Satiriker meines Verständnisses die guten Zeiten. Weil man denken muss!

Das von Ihnen prognostizierte Comeback des politischen Kabaretts ist eingetreten. Sind Sie zufrieden?
Es gibt eine wunderschöne Szene mit verschiedensten Artikulationsformen. Ich finde, dass in Österreich das Niveau sehr hoch ist. Ich war zum Beispiel in der Premiere von „Wir Staatskünstler“ – das ist ausgezeichnet.

Sie haben ja Robert Palfrader für die Bühne entdeckt.
Entdeckt ist zu viel gesagt. Ich habe mir gedacht, der ist lustig und g’scheit.

Sie spielen jetzt im Burgtheater noch einmal "Ich bin konservativ", und dann kommt schon wieder ein neues Programm im April?
Nein, ich mache sozusagen eine Taschenbuch-Ausgabe von meinem Programm. Ich trete kürzer. Ich setze mich an einen Tisch und mache eine Kombination aus Kabarettnummern, die ich draufhabe und Zitaten aus meinem Buch. Aber auch der Abend im Burgtheater ist zu 30 Prozent neu!

Sie inszenieren außerdem am Salzburger Landestheater „Das weite Land“, das ja eines Ihrer Lieblingsstücke ist. Warum?
Ich habe das Stück damals im Akademietheater gesehen, mit Attila Hörbiger und Paula Wessely, war einerseits hingerissen und hab’ mir andererseits beim Heimgehen gedacht: Was stimmt da nicht? Und beim Nachlesen bin ich draufgekommen, dass die alle 20 Jahre zu alt waren. Bei Schnitzler ist die

Genia 32, der Hofreiter ist etwa 45 – und er ist ein Aufsteiger! Das ist kein zerbrochener Zyniker, sondern einer, der Karriere machen will! Der fällt in unsere Zeit. Und ich habe mir immer gedacht: Ich möchte dieses wunderbare Stück einmal richtig sehen. das ist natürlich die reine Hybris, aber ich habe es nicht richtig gesehen. Ich habe das Stück einmal in Meiningen inszeniert, und jetzt bekam ich die Chance, es in Österreich zu machen.

Sie werden demnächst 75. Sie sagten einmal zum Thema Älterwerden: Wichtig ist, nicht wehleidig sein und nicht auf jung tun. Gilt das noch?
Ja! Denn diese Jungbuben machen einen doch wahnsinnig. Ich habe einmal gesagt: Altkluge Kinder sind furchtbar, aber noch schlimmer sind jungkluge Greise!

Wehleidig sein und auf jung tun ist aber anscheinend sehr modern.
Man muss sich bekennen zu seiner Generation. Als ich in den Fünfzigerjahren jung war, gab es ein wunderbares Schimpfwort. Wir haben gesagt, „das ist tiefstes 19. Jahrhundert“. Und ich bin tiefstes 20. Jahrhundert! Mir kommt kein Computer und kein Internet ins Haus. Nicht, weil ich diese Dinge missachte –, aber sie sind nicht für mich erfunden.

Vor 13 Jahren haben Sie gesagt, Thomas Bernhard wird in 15 Jahren vergessen sein. Es bleiben also noch zwei Jahre für das Vergessen.
Vergessen ist er noch nicht, aber die Erosion ist im Gange. Nach jeder Inszenierung lesen Sie in der Zeitung, dass der Regisseur dem Autor nicht gerecht geworden ist. Fällt niemandem auf, dass nicht jedes Mal der Regisseur schuld sein kann? Wie immer, wenn ich kampagnisiere, übertreibe ich. Man kann ihm ein gewisses Niveau und eine Sprachkraft nicht absprechen.

Das klingt ja fast versöhnlich. Haben Sie noch Freude am Kampagnisieren, am Streiten, am Konflikt? Oder werden Sie altersmilde?
Nein! Das wäre für mich eine existenzielle Katastrophe! Man weiß ja übrigens, dass Bernhard, dieses charakterlose Schwein, den Adalbert Stifter verehrt hat. Der hat sich aber für ihn als uneinholbar herausgestellt, und dann hat er ihn in „Alte Meister“ hergebeutelt. Das ist doch einfach mies. Was mich freut, ist, dass der Walter Kappacher den Büchner-Preis gewonnen hat. Das ist doch ein hoch seriöser, gescheiter, fabelhafter Erzähler. Auch Daniel Kehlmann ist ein hochbegabter Mann – was der alles in seine Bücher investiert, an Recherche, an Fantasie! Und dagegen diese monauralen Kaskaden des Bernhard, die man am Klo diktieren kann!

Peter Turrini fiel bei der Nestroy-Gala durch seine scharfe Abrechnung mit den Dramaturgen auf.
Er hat mit jedem Wort recht. Es beginnt bei der Uraufführung. Die ist nur dann eine solche, wenn der Regisseur haarscharf das inszeniert, was da ist. Sobald er anfängt mit zusätzlichen Texten, Projektionen und Filmeinspielungen, gehört ihm schon eine in die Goschen gehaut. Und wenn einer bei Schiller sagt "verpiss dich", könnte ich ihn gleich in die Eier treten. Es darf kein Wort fallen, das der Autor nicht geschrieben hat. Aber! Es müssen viele Wörter nicht fallen, die der Autor geschrieben hat.

Demnächst erscheint Ihr neues Buch.
Es ist ein Erzählband. 17 neue Erzählungen unter dem Titel "Partner, Paare, Paarungen". Es
werden Zweierkonstellationen abgehandelt. Ehepaare, Liebespaare, Freundinnen, Lehrer-Schüler, Onkel-Neffe. Es geht von heiter bis ziemlich dunkel. Ich freue mich wirklich sehr auf dieses Buch!

Zur Person: Kabarettist, Autor, Regisseur, Boxfan

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Anfänge: Der heute als Kärntner bekannte Werner Schneyder kam am 25. Jänner 1937 in Graz zur Welt. Er wuchs in Klagenfurt auf und studierte in Wien. Schneyder arbeitete als Sänger, Journalist, Schriftsteller und Dramaturg. 1973 gründete Schneyder mit Dieter Hildebrandt ein Kabarett-Duo, das rasch sehr erfolgreich wurde.

Satiriker: Nach der Trennung des Duos 1982 wurde Schneyder als Solo-Kabarettist mindestens so erfolgreich. Seine brillant formulierten, scharfsinnig-satirischen Texte und Lieder machten ihn unverwechselbar. 1996 trat Schneyder von der Kabarettbühne ab – um 2008 mit dem Programm „Ich bin konservativ“ wortbrüchig zu werden.

Autor: Schneyder veröffentlichte einen Roman, Erzählungen, Gedichte und Essays. Den Tod seiner Frau Ilse verarbeitete er in dem schonungslos offenen Buch „Krebs – Eine Nacherzählung“. Schneyder spielte Theater, inszenierte (und entdeckte das Talent von Robert Palfrader). Seine Liebe gilt dem Boxsport, er war lange als Kommentator tätig.

75. Geburtstag: Gefeiert wird im Wiener Burgtheater

Am 25. Jänner wird Werner Schneyder 75 Jahre alt. Gefeiert wird schon vier Tage vorher – und wie es sich für einen Künstler von Rang gehört, auf der Bühne: Im Wiener Burgtheater spielt Schneyder am 22. Jänner eine Galavorstellung seines Comeback-Kabarettprogramms "Ich bin konservativ". Der Abend besteht einerseits aus Schneyders besten Szenen, Nummern und Chansons, andererseits aus brandneuen Texten. Das Erfolgsprogramm war bisher erst ein Mal, nämlich 2009, am Burgtheater zu sehen. Am Klavier begleitet ihn Christoph Pauli.

Ab April läuft das Programm unter neuem Titel ("Das ultimative Solo") und in neuer Form: Schneyder adaptiert Kabarettszenen und Buchtexte zu einem Abend für kleinere Bühnen.

Regie: Außerdem ist Schneyder wieder als Regisseur tätig: Am Salzburger Landestheater, wo vor vielen Jahren seine Theaterkarriere begann, inszeniert er sein Lieblingsstück, Schnitzlers derzeit so viel und gern gespielte Tragikomödie "Das weite Land". Das Stück beschäftigt ihn seit seiner Jugend, über seine Regiearbeit in Meiningen schrieb Schneyder sogar ein Buch. Schneyder ist es wichtig, auch die Komödien-Seite des Stoffes sichtbar zu machen. Sascha Oskar Weis spielt den Hofreiter, Franziska Becker dessen Frau Genia. Karlheinz Hackl wird den Doktor von Aigner geben. Premiere ist am 25. Februar.

Ende Februar erscheint auch Schneyders neuer Erzählband „Partner, Paare, Paarungen“ (Verlag Langen/Müller, 15 €). Es geht um Zweierbeziehungen in all ihren schönen und traurigen Aspekten.

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