Sabine Haag: „Eine Steilvorlage für meinen Nachfolger“
KURIER: Sie haben fünf Tage vor Weihnachten erfahren, dass Sie zehn Monate weitermachen dürfen, weil Ihr Nachfolger, Eike Schmidt, erst mit November kommen will. War das Hinauszögern der Entscheidung demütigend?
Sabine Haag: Die Sachlage war bereits seit 1. September 2017 bekannt, als der damalige Kulturminister Thomas Drozda seine für mich überhaupt nicht nachvollziehbare Wahl bekanntgab. Aus welchen Gründen es derart lang, bis zum buchstäblich letzten Moment, gedauert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Mein Auftrag war, für Stabilität zu sorgen und die Mitarbeiter motiviert zu halten. Dass mir dieser Akt extrem viel abverlangt hat, muss ich nicht näher erläutern.
Was wäre passiert, wenn Kulturminister Gernot Blümel gesagt hätte, dass jemand anderer die Interimszeit betreuen wird? Sie hätten nicht einmal Abschied feiern können.
Um ein Fest umgefallen zu sein, wäre meine geringste Sorge gewesen. Denn das größte Fest hatten wir uns und den Besuchern schon davor beschert: mit der Bruegel-Ausstellung, die unsere Kernkompetenzen – Alte Meister, Internationalität, Forschung – widergespiegelt hat. Hinzu kamen die von Wes Anderson kuratierte Schau „Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures“, die zeigt, dass man auch anders mit den Sammlungen arbeiten kam, und die kleine, feine Kooperationsausstellung „Falsche Tatsachen“ über das Privilegium Maius. Dass wir diese drei Ausstellungen zeitgleich anbieten konnten, fand ich besonders glückhaft. Weil wir den breiten Fächer zeigen konnten, mit dem wir das Publikum ansprechen. Und das wurde honoriert: 2018 war das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des KHM-Museumsverbandes. Das ist auch eine Steilvorlage für meinen Nachfolger.
Ihr Vertrag läuft nicht einfach zehn Monate weiter, die Interimszeit ist signifikant schlechter dotiert. Ist das nicht irgendwie entwürdigend?
Ich finde schon. Aber es gab kein Signal eines Spielraums oder Entgegenkommens. Soll ich mich daher um den Prozentsatz weniger anstrengen? Ja, ich hätte meine Direktionszeit zu Jahresende mit Pauken und Trompeten beenden können. Aber hinter mir die Sintflut: So bin ich nicht gestrickt. Anfang Mai werde ich genau 30 Jahre am KHM sein. Ich fühle mich dem Haus wirklich bis ins Innerste verpflichtet. Ich habe mich daher entschlossen, das Haus ordentlich zu übergeben. Hinzu kommt, dass ich das Programm 2019 zur Gänze geplant habe – mit der Eröffnung von „Caravaggio & Bernini“ am 14. Oktober als Höhepunkt. Sie ist nicht nur die erste Caravaggio-Ausstellung des KHM, sondern auch die erste in Österreich. Und es gibt keinen Etikettenschwindel, zu sehen sind gleich 14 Werke von Caravaggio in Verbindung mit Bernini.
Jetzt möchten Sie auch die Lorbeeren einheimsen dürfen?
Aber das wissen Sie doch: Lorbeeren gibt es fast nie. Ich werde die Ausstellung zumindest eröffnen.
Wie geht es danach mit Ihnen weiter? In die Kunstkammer, die Sie früher geleitet haben, können Sie ja nicht zurück.
Genau, vor zwei Jahren habe ich einen neuen Direktor bestellt. Ich habe die unterschiedlichsten Angebote erhalten – von der Leitung eines großen Museumskomplexes bis hin zu Beratungsaufträgen und Ausstellungsprojekten. Aber ich habe auch die Möglichkeit, hier am Haus im wissenschaftlichen Stab zu bleiben. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Da Eike Schmidt immer wieder seine Liebe zu Florenz äußert: Wird er den Job überhaupt antreten?
Ich gehe davon aus. Es gibt monatliche Arbeitsgespräche – und daher keinerlei Grund zur Annahme, dass er nicht kommen wird.
Die Uffizien brauchen eine neue Leitung. Eine reizvolle Überlegung?
Wir sind hier am KHM in unserer Museumsarbeit um so viel weiter, dass mich die Uffizien keinesfalls interessieren würden.
Sie sagten, das KHM hatte das erfolgreichste Jahr in der Geschichte …
Wir hatten 1,75 Millionen Besucher. 2009, als ich begonnen habe, waren es 1,14 Millionen. Bis auf eine kleine Delle 2011 ist es kontinuierlich bergauf gegangen, von 2017 auf 2018 gab es sogar eine enorme Steigerung der Besucherzahlen – und damit einhergehend eine Steigerung der Eintrittserlöse von 10,62 auf 14,88 Millionen Euro. Dass Bruegel auch kommerziell derart einschlagen würde, hat uns positiv überrascht. Dadurch stieg auch der Eigenwirtschaftlichkeitsanteil auf über 50 Prozent. Was man zudem nicht übersehen darf: Wir konnten uns wieder an die Spitze der Bruegel-Forschung setzen.
Die Schau hatte 408.000 Besucher. Das Haus dürfte an die Grenzen des Verkraftbaren gestoßen sein.
Absolut. Es hätten noch wesentlich mehr Menschen die Ausstellung sehen wollen, aber das hätte die Infrastruktur nicht hergegeben. Zudem waren wir unserem obersten Prinzip verpflichtet: Den Kunstwerken darf nichts passieren. Der Ansturm ist nun ein sehr gutes Argument. Denn das Museum braucht, wenn wir diesen erfolgreichen Weg weitergehen wollen, bauliche Investitionen.
Diesbezüglich sind Sie ja gescheitert: Weder wurde der zweite Stock, die sogenannte Sekundärgalerie, revitalisiert, noch kam es zu einer Unterkellerung des Maria-Theresien-Platzes.
Diese Infrastrukturprojekte sind natürlich nicht aus unserem operativen Budget zu stemmen. Das ist eine Eigentümerentscheidung. Leider wird der KHM-Museumsverband als Einheit gesehen. Wenn z.B. Geld für die Neuaufstellung der Kunstkammer zur Verfügung gestellt wird, dann wird nicht gleichzeitig ein weiteres Projekt finanziert. Denn das würde gegenüber den anderen Bundesmuseen als Bevorzugung gesehen werden. Ich gebe unumwunden zu, dass mich diese Argumentation immer frustriert hat. Wir konnten im letzten Jahrzehnt dennoch einiges realisieren, haben nicht nur die Kunstkammer, sondern auch das Weltmuseum wiedereröffnet. Und wir waren geradezu Musterschüler: Wir blieben jeweils im Budgetrahmen.
Wie hätte denn Ihre weitere Prioritätenliste ausgesehen?
In meiner Bewerbung für eine dritte Amtsperiode nannte ich die Schatzkammer und den zweiten Stock inklusive Verbesserung der Sonderausstellungsflächen als vordringlich. Wichtig wären permanente Ausstellungsflächen. Denn mit temporären Sonderausstellungen in der Gemäldegalerie verbrennen wir Geld. Die Räume im zweiten Stock sind teilweise großartig, sie haben die originalen Deckenmalereien, aber sie sind schmäler und niedriger. Tapisserien z.B. kann man da nicht zeigen. Eine Möglichkeit wäre, mit kleineren Formaten aus der Gemäldegalerie hinaufzugehen, um im ersten Stock die permanenten Sonderausstellungsflächen zu schaffen. Das KHM-Gebäude müsste eigentlich nach dem Parlament das nächste große Sanierungsprojekt sein. Aber dafür braucht es einen politischen Willen.
Die Schatzkammer, zuletzt in den 80er-Jahren neugestaltet, wirkt verstaubt.
Wir versuchen – in Rahmen unserer Möglichkeiten – immer wieder Verbesserungen. Aber es stimmt natürlich, dass sich die museologische Aufbereitung mittlerweile geändert hat. Mir ist es leider nicht gelungen, mehr Verständnis für die Schatzkammer zu wecken. Ich habe immer wieder auf sie hingewiesen – zum Beispiel, als der damalige Kulturminister Josef Ostermayer das Haus der Geschichte in Angriff nahm: „Bitte vergessen Sie nicht auf die Schatzkammer! Mit den Insignien des Heiligen römischen Reichs ist sie quasi das Fundament des Hauses der Geschichte!“
Sie haben vorhin die Kompetenzen des KHM erwähnt. Die Gegenwartskunst gehört eigentlich nicht dazu, Sie bringen sie aber regelmäßig. Ab 12. März zeigen Sie Mark Rothko.
Wir schauen mit dem Wissen der Gegenwart auf die Kunstgeschichte. Diese Frage interessiert mich generell: Was bedeutet die alte Kunst heute? Ich habe daher Jasper Sharp gebeten, eine Programmschiene für moderne und zeitgenössische Kunst zu entwickeln. So kam es zur Ausstellung Lucian Freud. Und so kommt es auch zur Ausstellung Mark Rothko. Er hat sich intensiv mit der klassischen Kunst auseinandergesetzt. Wir zeigen nicht nur die bekannten abstrakten Farbkompositionen, sondern auch die Entwicklung dahin. Wir schaffen also eine Brücke zu unseren Sammlungen und geben eine Erklärung dafür, warum Rothko bei uns stattfindet – und nicht z.B. im mumok.
Sie bespielen auch den Theseustempel mit Gegenwartskunst – und generieren über Gratiseintritt eine hohe Besucherzahl, zuletzt 143.760. Verfälscht das nicht die Statistik?
Der Theseustempel im Volksgarten wurde einst für die Theseusgruppe von Antonio Canova errichtet, war also der Präsentationsort für ein Werk der zeitgenössischen Kunst. Wir bleiben der Gründungsidee treu. Das Programm verweist zudem auf unser Haus. Und wir investieren in die Präsentation. Ich verwehre mich dagegen, dass der Tempel für uns eine reine Besucherzählungsmaschine ist. Was ich Ihnen verraten darf: Heuer zeigen wir Maurizio Cattelan.