Kultur

Rowling: Und jetzt haben wir den Salat

Man muss sehr aufpassen, um nicht ungerecht zu sein.

Weil bei so viel Gschisti-gschasti um ein Buch, bloß weil es von der – seit ihren sieben Harry-Potter-Abenteuern – reichsten Autorin der Welt stammt, steigen die Aversionen.

Kürzlich hat der sehr ernst zu nehmende deutsche Schriftsteller Uwe Tellkamp ("Der Turm") gemeint, er würde Joanne K. Rowling gern als Literatur-Nobelpreisträgerin sehen.

Bedenkt man, wie viele Jugendliche sie mit den sieben Harry-Potter-Abenteuern zu Lesern gemacht hat, ist der Wunsch nachvollziehbar.

Und "Ein plötzlicher Todesfall", ihr erster Roman für Erwachsene (mit Heroin, Prostitution, Schimpfwörtern) lassen wir unauffällig unter den Tisch fallen.

Denn bei aller Sympathie für die Sozialkritik, für die Aufforderung, die Gesellschaft möge sich gefälligst um die Schwachen kümmern ... er langweilt.

Irgendwann im Buch sagt ein junger Mann (und zielt dabei auf ein bestimmtes anrüchiges Mädchen ab):

"Wenn du Pommes willst, gehst du nicht an die Salatbar" (den Zusatz "scheiß" vergessen wir jetzt).

So gesehen, waren der Zauberlehrling und seine Freunde die Pommes.

... und jetzt haben wir den Salat.

Kein Wurm

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Wobei er ab der Hälfte besser schmeckt. Da passiert immerhin etwas.

Auf den ersten 250 Seiten hat die 47-jährige Joanne K. Rowling schrecklich viel Personal vorzustellen.

Das zieht sich, und es gibt halt keine Dementoren, keinen Hypogreif, ja nicht einmal Flubberwürmer, die den Leser aus seiner Lethargie befreien könnten.

Ohne Magie wird es eng in der Literatur.

Wie berichtet, handelt "Ein plötzlicher Tod" vom Nachfolgekampf um den frei gewordenen Posten des Gemeinderats.

Denn in dem hübschen englischen Ort Pagford – rote Häuser aus Backsteinziegeln, Vorhänge mit Rosenmuster, ein Flüsschen, ein Brücklein – ist der 44-Jährige Barry Fairbrother auf dem Weg zum Golfclub tot zusammengebrochen.

Er war ein Guter.

Die Ruderinnen der Schule hat er trainiert, Volksläufe für die Kirche organisiert – warum trauern selbst ernannte brave Bürger in Pagford so wenig und nennen den Toten "Arsch"?

Weil er sich als Gemeinderat um die Leute in der Sozialsiedlung am Stadtrand, Fields genannt, gekümmert hat. Fairbrother stammte selbst von dort. Ihm war der Fortbestand der Drogenklinik ein wichtiges Anliegen.

Sozialhilfeempfänger erkennt man – laut Rowling – übrigens daran, dass sie ständig in Trainingshosen umherlaufen.

Und Jugendliche, deren Streitereien mit den Eltern sehr nachvollziehbar beschrieben werden, haben fast immer ordinäre Wörter im Mund.

Gerade so, als wäre es eine kindliche Freude für die Autorin, nach den kondomfreien Abenteuern in Hogwarts endlich die Sau rauslassen zu können.

Verkackte Fixerkuh – herrlich! Wichser, Junkie-Bitch – großartig!

Im Ort sieht man jetzt die Chance gekommen, die störende Siedlung an die Nachbargemeinde abgeben zu können. Kandidaten, die die Politik im Sinne Barry Fairbrothers weitermachen wollen, werden anonym verunglimpft.

Aber es dauert, bis die schlechten Menschen hinter ihren Bridgekarten hervorkriechen. Zuvor trocknen noch jede Menge Fleischstücke im Eintopf ein, es werden Augenbrauen hochgezogen, Joghurt wird gelöffelt – und erst nach 180 von 570 Seiten hat Barry endlich sein Begräbnis.

"Morning has broken" wird gesungen.

Keine Pretiosen

In dieser moralischen Tragödie mit den komischen Einlagen werden noch einige Leichen dazu kommen.

Zur guten Unterhaltung wird der Roman trotzdem in keiner Phase.

Man müht sich von einem einfachen, fast kindlich wirkenden Satz zum nächsten, und viele von denen spielen sich auf, als wären sie unbezahlbare Pretiosen.

Niemand braucht J. K. Rowling übel zu nehmen, dass sie etwas für sie Neues versucht hat. Sie durfte es sich erlauben (und kann es sich leisten).

KURIER-Wertung: *** von *****

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