Ein Popmeisterwerk besteht den Alterstest
In seinem Ledermantel mit stilisierter Nazi-Symbolik schaut Roger Waters überraschend gut gelaunt drein. Zu Recht. Denn der ehemalige Pink-Floyd-Bassist zeigt sein Lebenswerk „The Wall“ seit mehreren Jahren wieder auf europäischen Bühnen. Und wird allseits dafür bejubelt. Von diesem Triumph der Popkultur konnte sich der KURIER im April 2011 in Prag überzeugen.
„The Wall“, 1979 erschienen, ist ein Relikt aus der unlockeren Pop-Antike. Damals waren die Musiker-Egos so groß, dass sie sich ständig an den allergrößten Gegnern messen wollten. Faschismus, Hunger, Krieg wurden mit doch sehr kritischen Songs abgestraft.
Oder auch, wie bei „The Wall“, das trübselige Leben an sich, in all seiner traurigen Lächerlichkeit. Waters hat dem allumfassenden Bomben-, Erziehungs- und Beziehungsterror, in dem die Menschen gefangen sind, ein beleidigtes Alptraum-Kasperltheater entgegengestellt. Emotional bis zum Anschlag, bierernst im Leid, eine grenzhysterische Anklage all dessen, was in dieser Welt schlecht ist.
Stein um Stein
Das muss man heute natürlich als ein klein wenig unsouverän bekritteln. Und trotzdem ist „The Wall“ im allgemeinen, und auch die jetzige Ausformung als Live-Tour, ein mitreißendes, hochintelligentes Stück Popgeschichte.
Und riesig dimensioniert: Stein für Stein lässt Waters während der Show eine Mauer quer über die Bühne errichten, bis zur Pause verschwindet die Band dahinter. Mit überdimensionalen Marionetten und geradezu umwerfenden Videoprojekten entwickelt sich rundherum die groß angelegte Pop-Oper: Der entfremdete Popstar verwandelt sich in einen faschistoiden Kerl, inszeniert einen Nazi-haften Parteitag auf der Bühne. Die dumme Masse folgt willig, und die Mutter sorgt sich um den Buben. Am Schluss aber ist der Popstar wieder lieb, die Mauer wird eingerissen. Denn so schlecht die Welt auch ist: Verstecken gilt nicht.
Drei Jahrzehnte ist das alt. Aber vieles hat immer noch ziemliche Aktualität. Damit ist nicht nur der Refrain der Hitsingle „Another Brick In The Wall“ („We don’t need no education“) gemeint, der gerade in Zeiten der Pisa-Studien recht passend ist.
Sondern, es muss leider gesagt werden, die Welt hat sich inzwischen auch nicht eben zur Wellness-Oase mit Happy Hour gewandelt. Genug Stoff, leider, für eine aktualisierte Show – der Waters eine starke Dosis Bitterkeit mitgibt: Terroropfer werden auf die Mauer projiziert und gleichberechtigt dazu die Opfer jener Kriege, die diesen Terror rächen sollen. Flugzeuge werfen Bomben ab – die sich in religiöse Symbole verwandeln und damit die brennenden Konflikte von heute thematisieren. Und in bester Floyd-Manier wird dann die kapitalistische (Aufblas-)Sau durch das Stadion getrieben.
Hölle
Die zweieinhalbstündige Show zeigt ein Übermaß an Liebe zu allem, was teuer ist: Gleich zu Beginn brennt das Feuerwerk ab, computeranimierte Film-Sequenzen verwandeln die Mauer mal in einen grellbunten Hippie-Traum, mal in die ganz private Hölle des verzweifelten Individuums.
Das kommt in perfektem 3-D-Sound daher, die Mietband stellt mit ziemlicher Überzeugungskraft eine Pink-Floyd-Coverband dar. Natürlich fehlt das unübertroffene Gitarrenspiel von Waters’ Langzeit-Kontrahenten David Gilmour.
Aber vor allem eines zeichnet „The Wall“ immer noch aus: Waters nimmt, auch im Pensionsalter, die kritische Kraft des Pop ernst. Ohne sich davon die gute Laune verderben zu lassen. Gerührter Applaus.
KURIER-Wertung: ***** von *****
Das Album
1979 erschienen, wurde „The Wall“ zum bestverkauften Doppel-Album der Geschichte.
Die Show
Mit meterhohen Puppen und einer bühnenumspannenden Mauer zählt die Show zu den aufwendigsten und durchdachtesten Pop-Produktionen. Waters hat „The Wall“ 1990 in Berlin nach dem Fall der Mauer aufgeführt. Nun tourt er mit einer aktualisierten Version. Der große Aufwand macht sich bezahlt: Selten noch hat Pop so gut ausgesehen und geklungen.