Prometheus muss sich Sotschi nicht mehr anschauen
Von Peter Pisa
"Die Olympischen Spiele sind der beste Weg, den Kaukasus in die Knie zu zwingen", schreibt Katja Petrowskaja, ukrainisch-deutsche Schriftstellerin. Im Vorjahr gewann sie den Bachmannpreis. Sie schreibt es mit Blick auf die fünf Eishallen, wo vor dem Bau riesige Nistplätze seltener Vögel waren. Und sie fragt: "Wo zum Teufel kann man im Stadtzentrum zwischen Gucci und Boss noch Brot kaufen?"
Sotschi ist mehr als ein Disneyland für den Sport (bzw: es war mehr). Es war ein Sehnsuchtsort. Studenten am Slawistik-Institut der Uni Innsbruck haben die Kaukasus-Literatur neu entdeckt. Der Klagenfurter Wieser-Verlag hat aus ihrer Auswahl das Buch "Sotschi" gemacht – mit Tolstoi, Puschkin, Pasternak, Josef Roth; auch mit Texten Wladimir Kaminers, von dem man erfährt: Ob Wassermelonen süß sind, erkennt man im Kaukasus an den Melonenschwänzchen: Trocken müssen sie sein und kurvig gewickelt ...
Kein Gedenken
Aber "Sotschi" ist auch eine Reise durch die Geschichte der kaukasischen Völker. Zu den Tscherkessen etwa, die dort, wo Österreichs Skidamen Mittwoch verloren haben, von den Soldaten des Zaren fast ausgerottet worden sind. Nicht einmal eine Gedenktafel erinnert daran.
Prometheus – von Aischylos bis Kafka verewigt – hatte uns die Kultur gebracht, deshalb wurde er von Zeus an den Kaukasus gekettet. Gut, dass Herakles ihn befreite. Sonst müsste er aufs heutige Sotschi blicken, während Adler seine Leber pecken.
Verleger Lojze Wieser: "Wo die eurasische Platte zur Wohnstätte von Tscherkessen, Tschetschenen, Russen wurde, wo das Kumynische, Mygrelische, Absachische, Swanische daheim ist – dort ist die Lösung der Widersprüche zu finden. Es sei denn, der Blick wird durch Potemkinsche Bauten behindert."
Wieser-Verlag. 280 Seiten.14,95 Euro.