Kultur

Voodoo Jürgens im Interview

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Heite grob ma Tote aus– mit einem Song, der durchaus als Gegenkonzept zu Wolfgang Ambros' beinahe rührseligem "Zentralfriedhof" zu verstehen ist, gelang einem 32-jährigen Niederösterreicher der ganz große musikalische Wurf des Jahres. Top-Platzierung in den Charts, Konzert in der Wiener Stadthalle, Features in Bobo-Feuilletons, Boulevard-Blättern und sogar in der deutschen Tagesschau, eine Tour, die mit einem umjubelten Auftritt in Berlin endete – der Mann, der sich Voodoo Jürgens nennt, ist ganz oben. Was man ihm nicht auf den ersten Blick ansieht, wenn man ihm an einem grauen Wiener Dezembertag im Café Weidinger gegenübersitzt. Ein bissl schlurfig, alte braune Anzughose, das Blumenhemd zwei Nummern zu groß, die Ringe um die Augen zu dunkel, Halsketterl, Vokuhila-Frisur.

Ziggy Stardust als Strizzi

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Alles Image? Schmäh? Ist Voodoo Jürgens eine Art österreichischer Ziggy Stardust, eine vom Autor losgelöste Kunstfigur, ein Avatar des Morbiden, Tiefen, des Goscherten und Gfeanzten? "Na, gar net. Obwohl, eigentlich wollt i des Ganze scho a bissl auseinanderhalten: Mich als Privatperson und den Voodoo als Interpreten, aber irgendwie war mir des dann zu anstrengend, immer zwischen den beiden zu switchen", sagt er mit einem entwaffnenden Grinsen. Voodoo sei eben EIN Teil von ihm, erklärt er weiter, verdichtet, überhöht – ein Katalysator auch für den ehemaligen Konditor-Lehrling und Friedhofsgärtner, der schon viel gesehen hat, der durch die Straßen der Stadt wandert, in Beisln sitzt, beobachtet, Dinge erlebt oder erzählt bekommt. Schräge Dinge, die er unverblümt in schonungslose Texte umwandelt.

Wo Wanda noch schnöselig schick mit gymnasialem Mundart-Schmäh kokettieren und der Nino aus Wien den Charme eines Studienabbrechers verströmt, der trotz aller Unzulänglichkeiten einen herzigen Schwiegersohn abgäbe, geht Voodoo in die Vollen. Streit um Alimente, Schlägereien, fragwürdige Gäste in fragwürdigen Cafés – Außenseiter, Ganoven, Strizzis. Eine Geisterbahnfahrt durch eine Wiener Halbwelt, die man als braver Bürger höchstens aus dritter Hand kennt, wenn nicht aus Vierter, die aber gerade die braven Bürger umso mehr fasziniert.

Woher kommt sein Fokus aufs Milieu? "Man kann halt am besten über des schreiben, wo man sich auch ein bissl auskennt. Und da kenn ich mich aus", sagt Voodoo. Und: "Natürlich scho von den Eltern her, dem Papa, i hab’s eh scho a paar mal erzählt, aber jeder schreibt dann was, wie’s eam halt grad passt – i red da net mehr so gern drüber."

Die Eltern lebten getrennt, er flog früh von zuhause raus, zog von seiner Heimatstadt Tulln aus nach Wien. Konditorlehre abgebrochen, Abendmatura abgebrochen, als Skater mit den Gymnasiasten abgehangen, Hochdeutsch gesprochen, in einer verhältnismäßig erfolgreichen Indie-Band Gitarre gespielt und Englisch gesungen, irgendwann Friedhofsgärtner geworden. "Net lang, nur eine Saison. Wor oba schen", sagt Voodoo und bekommt einen fast schon verklärten Blick.

Kraftausdrücke vom Papa

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Mit 30, da ist er selbst schon seit fünf Jahren Vater, verliert er seine Wohnung, zieht bei seinem Vater ein, lernt ihn zum ersten Mal richtig kennen. "Des war scho prägend für mich. Der Anstoß, dass i angfangen hab, Wienerisch zu singen. Der kennt Ausdrücke, die hörst heut kaum mehr." Voodoo schüttelt lächelnd den Kopf. DerHolzpyjamafür die letzte Ruhe, die Rechte, die wie eineKaisersemmel kracht. Nicht nur Watschn werden verteilt, sonderngscheide Nussn, a Ohrwaschlreiberl, a Gnack-flack, a Spitz, a Eisnbahna, a Stereowatschn, a Sheriffstern, a Packl Hausdetschn, a Tschuck aufs Guck, a Eierbock, a Brennnessel, a Saubauch...Voodoo hat seinen Vater Christian auf der CD "Ansa Woar" verewigt. Es ist der fröhliche Herr im Zuhälterlook auf dem Cover. Wer mehr über die frühen Jahre des Sängers erfahren will, sollte sich den Song "Tulln" anhören. "Der is wirklich autobiografisch", sagt Voodoo.
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Im Summa samma im Aubod bei da Rutschn glegn, waunn ma schuigstanglt haum, haumma si durt die Kantn gebn, da Stadtpark-fredl hod da 500 Schilling geben, waunnst eam beim Wixn zuagschaut host, daun hod a des megn, in da Bluadgossn des erste moi Wundbenzin gnumma (...) vüle san ogstirzt oba uns hods ned troffn, sunst dadat ma heit net dositzn und singa.Aber auch in den anderen Songs ist sein Blick nie nostalgisch zurückgerichtet oder verniedlichend auf eine gute alte Strizzi-Zeit, die es so schon zu Inspektor Kottans Zeiten nicht gegeben hat. Es ist kraftvolle, nie wehleidige Dialekt-Lyrik. Gedichte über die Menschen, die nebulös als Proleten bezeichnet werden und die sich – zurecht, wie Voodoo Jürgens meint – von niemanden und schon gar nicht von der Politik verstanden fühlen. Menschen "drüben", auf der Seite Wiens, die wir nicht kennen, und die in Filmen und Serien immer nur unzureichend, romantisierend oder mit gemütlichem bis halblustigem Lokalkolorit beschrieben werden.

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Der Kellner bringt Voodoo eine zweite Melange. "Na, lauft ja super!", sagt er. "Eh, danke, kann mi net beschwern", sagt Voodoo. Und nachdem er einen Schluck gemacht hat und der Kellner längst außer Hörweite ist: "Oba i bin lang gnug in dem Gschäft, dass i waß, wie schnell si des ändern kann. Bei der nächsten Plattn kennan S’ mi scho wieder abschiaßn. Ka Hit, und kana will mehr was von dir wissn. Er scho, der Kellner, der war scho freundlich, bevor i überhaupt der Voodoo worden bin. Oba du waßt, wie des lauft ..." Er zieht an seiner Zigarette, denkt kurz nach. "Prinzipiell is mir des ja wurscht, wia’s weiterrennt. Es is vorher gangen und wenn’s is, spiel i halt wieder in die klan Espressos in Simmering, wo i angfangen hab. Ma muaß künstlerisch vom eigenen Anspruch ausgehn – net von irgendwas, von dem ma glaubt, es könnt die Leit gfallen. Und i werd sicher auf der nächsten CD net zehn Songs wie Heite grob ma Tote aus aufnehmen, nur weil i hoff, dass des Erfolg bringt. I mach so weiter wie bisher. Vielleicht moch i a Hörspiel? So was in der Art."
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Er macht jetzt bereits Lesungen einiger seiner Songs und bisher unvertonter Texte ohne Musik, hat früher auch in einem Improvisations-Orchester gespielt. Bei aller Authentizität ist dem Bänkelsänger aus Tulln der höhere Kulturbetrieb nicht fremd. Vielleicht schreibt er ja die nächste Proletenpassion – oder eine Art Mundl des 21. Jahrhunderts. Zuzutrauen wär’s ihm.

Voodoo Jürgens trinkt den letzten Schluck seines Kaffees, setzt bedächtig die Tasse ab und grinst genau so wie am Anfang unseres Gesprächs. "Oba ganz schlecht wär’s natürlich net, wann a so Hadern wie die Toten oben wär, auf der nächsten Scheiben."

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"Ansa Woar", die Erfolgs-CD von Voodoo Jürgens. Auf dem Cover: der Papa und eine ehrenwerte Dame. "Die Zeit, die i bei eam gwohnt hab, wor scho prägend für mi", sagt der Sänger
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