Philipp Hauß: „Irgendeine Revolte steht vor der Tür“
Von Thomas Trenkler
Am 2. Oktober hat im Akademietheater „Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard-Marie Koltès Premiere. Der französische Dramatiker starb 1989 mit nur 41 Jahren; seine bekanntesten, auch in Wien aufgeführten Stücke sind „Quai West“, „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ und „Roberto Zucco“. Den Baustellenleiter Horn spielt Philipp Hauß, 1980 in Münster geboren. Er ist seit 2002 am Burgtheater und fungiert nun als Ensemblesprecher.
KURIER: In „Kampf des Negers und der Hunde“, 1981 uraufgeführt, geht es stark um Kolonialismus. Warum nimmt sich das Burgtheater des Themas an? Österreich hat sich diesbezüglich, vielleicht mangels Möglichkeiten, wenig vorzuwerfen.
Philipp Hauß: Jein. Österreich argumentiert ähnlich wie die Schweiz, aber der Wohlstand, den Europa insgesamt erreicht hat, ist eine Folge des Kolonialismus. Weil man eben Arbeitskräfte ausbeuten konnte, Rohstoffe nicht bezahlten musste und so weiter. Es geht nicht darum, ob Österreich sich etwas zu Schulden kommen ließ oder ob es mit dem Finger auf andere zeigen kann: Europa als Ganzes hat Verantwortung zu tragen. Auch dafür, dass jetzt viele Menschen aus Afrika weggehen. Daher ist es wichtig, dieses Stück hier und heute zu zeigen.
2008 inszenierte Andrea Breth u. a. mit Ihnen am Burgtheater „Quai West“. In den letzten Jahren aber war Koltès von den Spielplänen verschwunden.
Koltès war ein kruder Autor, er saß dazwischen – zwischen traditionell gebauten Stücken mit Figuren und den „Textflächen“ von Elfriede Jelinek bzw. der Postdramatik. Es gibt Dialoge, aber zum Teil auch zu große Dialoge. Die Figuren verlieren sich z.B. in riesigen Kaskaden. Vielleicht ist das der Grund. Und warum Koltès jetzt wieder gespielt wird? Weil er Spannungen zwischen den Figuren und auch das dystopische Element recht gut beschreibt. Das Stück spielt auf einer sonderbaren Baustelle einer ausländischen Firma in einem westafrikanischen Land, die geschlossen wird. Die Ausbeuter wie auch die Bewohner haben das Gefühl, dass in naher Zeit etwas über sie drüberfegen wird. Irgendeine Revolte steht vor der Tür.
Das Stück ist ausufernd, Regisseur Miloš Lolic hingegen setzt gerne auf Rasanz. Es wird wohl viel Text gekürzt werden?
Ja, diese Sprachfeierei und dieses unglaublich Ausufernde: Das wird es nicht geben. Lolic greift stark zu, aber es geht nicht so sehr um hohes Tempo. Denn das Stück braucht auch seine Zeit, weil der Konflikt eigentlich lange Zeit auf der Stelle tritt, sich der Finger aber immer tiefer in die Wunde bohrt.
Sie spielen den Baustellenleiter. Er wird von Alboury auffordert, eine Leiche zu übergeben, damit sie bestattet werden kann. Wie fühlen Sie sich dabei, den „Herrenmenschen“ zu geben?
Es ist beinahe die Quadratur des Kreises: Einerseits braucht es eine klare inszenatorische Haltung – auch dem Theater gegenüber. Denn auch das Theater ist sehr weiß, und es gibt auch dort Rassismus. Und gleichzeitig geht es darum, die Logik der Figur, auch wenn sie pervers ist, glaubhaft zu machen. Wenn man aber alles dazu tut, um den Rassisten glaubwürdig zu machen, dann verführt man die Zuschauer zum Gedanken, der Figur recht zu geben. Es kann also nicht darum gehen, den Rassisten einfach zu reproduzieren.
Obwohl sich manche darüber aufregen, beharrt die Burg auf den Originaltitel „Kampf des Negers und der Hunde“. Warum?
Ich kann verstehen, dass aufgeklärte Menschen das Wort „Neger“ überhaupt nicht verwendet wissen und auch nicht auf Plakaten lesen wollen. Weil es eine schmerzhafte Demütigung ist. Man will es tilgen. Auf der anderen Seite finde ich es im Kontext des Stückes wichtig, es nicht zu ersetzen – etwa durch „Schwarzer“. Denn in dem Wort „Neger“ schwingt auch der Herrenmensch, die Ungleichheit, die Zukunftslosigkeit, das fehlende Recht auf eine eigene Biografie mit. Und um genau dieses historische Subjekt geht es bei Koltès. Das Wort bezeichnet eben eine klare rassistische Auffassung – und die ist im Stück gemeint. Mir persönlich erscheint das Eliminieren manchmal als Ersatzhandlung. Das Wort „Neger“ wird ersetzt, aber an den Verhältnissen ändert sich nichts. Da verschleiert die sprachliche Reinwaschung eigentlich das Problem.
Ernest Allan Hausmann, der den Alboury spielt, beklagt in der „Bühne“, „als deutscher Schauspieler das Stigma des Schwarzen“ zu haben, denn er bekomme nur Rollen, die eine dunkle Hautfarbe voraussetzen. Sie pflichteten ihm bei. Andererseits taucht die Forderung auf, dass die schwarzen Rollen nur von Schwarzen übernommen werden dürfen, und es hagelt Kritik, wenn die Weißen eine kulturelle Aneignung vornehmen. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Das sind eben zwei Seiten einer Medaille. Die Spielregeln sollte aber nicht der festlegen, der in der eher privilegierten Position ist. Koltès wollte Menschen auf die Bühne holen, die bis dahin nicht abgebildet waren, und hat Figuren explizit für Schwarze geschrieben. In einer idealen Welt können alle alles spielen. Also: Wahrscheinlich sollten möglichst viele Schwarze die Figuren spielen, die für Schwarze geschrieben sind, und gleichzeitig sollten auch möglichst viele Schwarze die Figuren spielen, die nicht explizit für Schwarze geschrieben sind. Und wenn es irgendwann einmal eine echte Diversität auf der Bühne gibt, dann wird die Situation entspannter.
Das Theater als Ersatzort?
Ja, die Auseinandersetzung müsste eigentlich in der Realität geführt werden.
Wie sehen Sie als Ensemblesprecher die nahe Zukunft – mit Martin Kušej als Direktor?
Nicht so dunkel, wie manche. Ja, es gibt Veränderungen. Das Ensemble hat viele Jahre, bereits seit Klaus Bachler, bestanden, man hat viel Zeit miteinander verbracht. Wenn Verträge jetzt nicht verlängert werden, dann ist es natürlich traurig, zu allererst für die betroffenen Kollegen. Aber Kušej wird neue Leute mitbringen. Mir ist wichtig, dass der Umbruch nicht dafür genutzt wird, um die Ensemblegröße zu verkleinern, Stellen abzubauen.
Kommen die Menschen nicht auch wegen bestimmter Schauspieler? Ist es sinnvoll, auf Publikumslieblinge zu verzichten?
Das macht es für die Schauspieler auch so reizvoll, hier zu arbeiten: Weil man ihnen mit Respekt begegnet, sie bewundert. Aber wenn der Intendant wechselt, kann es sein, dass man, egal wie alt man ist und ob man Familie hat oder nicht, von einem regelmäßigen Gehalt in eine Situation rutscht, in der man gar nicht weiß, wie man zurechtkommen soll. Das ist die Kehrseite des Berufs. Kušej hat mit allen persönlich geredet. Ich glaube, ihm ist das schwerer gefallen, als es den Anschein hat. Er macht sich Gedanken, wie man dieses Haus neu erfinden kann. Man muss es immer wieder neu erfinden. Denn die Menschen, für die es zu ihrer bürgerlichen Biografie gehört, ein Abo zu haben und kontinuierlich ins Theater zu gehen, werden weniger.
Trotzdem herrscht Verunsicherung. Kušej wird u. a. nachgesagt, despotisch zu agieren.
Man hört viel, weiß aber wenig. Ich habe mit ihm bei „Hexenjagd“ zusammengearbeitet. Und ich habe ihn nicht so erlebt. Der Umgang war unglaublich fair.
Wird Kušej seine Partnerin, Sophie von Kessel, engagieren?
Das weiß ich nicht. Ich bin gespannt, wen er aus München oder woher auch immer mitbringen wird.