Kultur

Péter Gardós: 2 zu 2 im "Literarischen Quartett"

Für "Fieber am Morgen" gab es im neuen "Literarischen Quartett" ein Endergebnis, ganz blöd war das, wie bei einem sportlichen Wettkampf.

2 zu 2 .

Zwei Kritiker fanden den ungarischen Roman zu süß und ungelenk, zwei mochten ihn.

Süß ist gut (ab und zu), und was die Eltern vom Budapester Péter Gardós nach dem Konzentrationslager erlebt haben, lässt man sich gern erzählen. Bloß besteht die Gefahr, dass empfindliche Leser an der einen und anderen misslungenen Formulierung picken bleiben und deshalb unaufmerksam werden und die Nerven verlieren.

Denn wenn jemand halb tot geprügelt wurde, steht da der Satz (es ist nicht bös’ gemeint, nur ironisch völlig danebengeraten):

"Man BEFREITE ihn von fast zwei Dutzend Zähnen."

Sechs Monate

Und wenn jemand hinter einem Felsen am Strand onaniert, dann onaniert er halt, verdammt! Ein Mann, ein Wort. Er zieht nur dann stattdessen "seine Männlichkeit zur Rechenschaft", wenn er den falschen Lektor hat.

Gardós ist Theater- und Filmregisseur.

Er hat Briefe seiner Eltern gefunden und über sie einen Film gedreht (der 2016 in die Kinos kommt). Dann hat er auch noch den Roman dazu geschrieben.

Seinen ersten.

Vater Miklós – Jude und im Widerstand – überlebte Verhaftung und "die Befreiung" seiner Zähne sowie das KZ Bergen-Belsen. (Über diese Zeit wird fast nichts geredet.) Er wurde nach dem Krieg nach Schweden gebracht, um dort vielleicht gesund zu werden.

Lungentuberkulose.

In Gotland sagte ihm der Spitalsarzt, er habe noch sechs Monate zu leben. Maximal sieben.

Miklós Gardós lehnte ab.

So muss man das sehen: Er lehnte es ab zu sterben. Einer, der die Nazis überlebt, lässt sich nicht dadurch umbringen, dass er keine Luft mehr bekommt und zusammenbricht und zwei Liter Flüssigkeit aus seiner Lunge entfernt werden müssen.

Fleck weg

Im Lazarett erkundigt er sich nach Ungarinnen aus seiner Gegend (Debrecen), die ebenfalls aus den Lagern befreit werden konnten und zurzeit auf Erholung in Schweden sind.

117 sind es.

Allen schreibt er einen Brief.

20 antworten, unter ihnen ist Lili.

Lili ... "Sie ist die Richtige."

"Woher weißt du das?" fragt ein Freund.

"Ich weiß es einfach."

Nun ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob es Liebe war (wie es einer der Kritiker im ZDF-"Quartett" versuchte). Denn Miklós wurde gesund, der Fleck auf der Lunge verschwand, das Fieber verschwand, er und Lili heirateten 1946 in Stockholm, ehe sie nach Ungarn heimkehrten.

Sie blieben 52 Jahre zusammen.

Bis er 1998 starb.

Die Briefe lagen gestapelt hinter Büchern. Seine Briefe mit einem blauen Seidenband geschnürt, ihre mit einem rosa Seidenband.

Liebe? No, besonders gehasst dürften sie einander nicht haben. Vater (= in der Ära Kádár außenpolitischer Journalist) wollte darüber immer einen Roman schreiben. Hat er nicht. Der Sohn hat, so gut er halt konnte.

Péter Gardós:
Fieber am Morgen“
Übersetzt von Timea Tankó,
Hoffmann und Campe Verlag.
256 Seiten.
22,70 Euro.