Kultur

"Österreich könnte eine Satire von Ephraim Kishon sein"

Warum sind Sie nach Wien gekommen, Herr Kishon?“, lautete die erste Frage, die ich ihm als junger KURIER-Reporter stellte. Das war im März 1972, als der weltberühmte Satiriker gerade 47 Jahre alt war. In wenigen Tagen wäre er hundert. Zeit, sich seiner zu erinnern.

„Ich bin in Wien“, antwortete er, „weil ich auf Satirensuche bin“.

„Und, haben Sie eine Satire gefunden?“

Die Mantelhexen

„Ja, natürlich. Ich kann hier in kein Kaffeehaus gehen, ohne dass mich eine alte Frau überfällt, die mir meinen Mantel abnimmt. Auch wenn mir kalt ist. Sie trägt ihn dann stolz in die Garderobe.“ Tatsächlich erschien in Kishons nächstem Buch, „Salomons Urteil, zweite Instanz“, die Satire „Die Mantelhexen von Wien“.

Kishon war immer auf der Suche nach komischen Alltagssituationen. Dass die Verkaufszahlen des Kultautors in Österreich besonders hoch waren, erklärte er mir damit, „dass die Satire in diesem Land geboren wurde. Österreich ist ein einziger Anachronismus. Seit Kaiser Franz Joseph hat sich hier nicht viel geändert. Österreich könnte eine Satire von Ephraim Kishon sein.“

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Ernste Fragen

Zu seinem 100. Geburtstag erscheint jetzt die Biografie „Ephraim Kishon, Ein Leben für den Humor“, deren Autorin auch sehr ernsten Fragen nachgeht. Etwa, wie zu erklären ist, dass der Jude Kishon im „Land der Täter“ zum Lieblingsautor der Deutschen wurde. Seine Biografin Silja Behre hat auf diese Frage mehrere Antworten: Kishons Beliebtheit rührte bei den Deutschen daher, dass er den Holocaust nicht erwähnte und sie so mit dem Thema gleichsam verschonte. Weiters seien seine Geschichten so populär, weil sich die Leser mit den Tücken des Alltags wiedererkannten. Und weil sie von Friedrich Torberg „leichtfüßig und elegant“ ins Deutsche übersetzt wurden.

Der in Ungarn als Ferenc Hoffmann geborene, gelernte Goldschmied flüchtete, nachdem er dem Naziterror entkommen war, 1949 vor den Kommunisten nach Israel. Kishon lebte zunächst in einem Kibbuz, wo er die Reinigung der Sanitäranlagen besorgte und als Schlosser arbeitete.

Ephraim Kishon

Geboren am 23. August 1924 als Ferenc Hoffmann in Budapest. Von den Nazis in ein polnisches KZ verschleppt, gelingt ihm die Flucht. Im Mai 1949 emigriert er mit seiner ersten Frau Eva Klamer, einer Wienerin, nach Israel. Seine zweite Frau ist Sara Lipovitz, bekannt als „beste Ehefrau von allen“

Weltruhm

Als die „New York Times“ Kishons Satireband „Drehn Sie sich um, Frau Lot“ 1961 zum „Buch des Monats“ wählt, beginnt sein Weltruhm. In 38 Sprachen übersetzt, werden  43 Millionen Bücher verkauft, davon 34 Millionen im deutschen Sprachraum, illustriert vom damaligen KURIER-Karikaturisten Rudolf Angerer

Die dritte Ehe

2002 stirbt Sara Kishon. 2003 Heirat der Österreicherin Lisa Witasek. Am 29. Jänner 2005 stirbt Ephraim Kishon. Er hatte drei Kinder und fünf Enkel

Soeben als Buch erschienen

„Ephraim Kishon, Ein Leben für den Humor“, Biografie von Silja Behre, Langen Müller Verlag

Keine Chance für Erfolg

Sein Weg zum Bestsellerautor war nicht vorgezeichnet, auch wenn er schon im Kibbuz Kurzgeschichten für israelische Zeitungen schrieb. Als er 1954 dem renommierten Buchverlag S. Fischer in Frankfurt seine Satiren anbot, gab man ihm „keine Chance für einen Erfolg beim deutschen Leser“. Hingegen erkannten Herbert Fleissner und Brigitte Sinhuber vom Münchner Langen Müller Verlag Kishons Potenzial und bauten ihn zu einem der erfolgreichsten Autoren des deutschen Sprachraums auf. Seine mehr als 30 Satirebände wurden in 38 Sprachen übersetzt und allein auf Deutsch 34 Millionen Mal verkauft.

Meinem ersten Interview im Jahr 1972 folgten weitere, wobei der Satiriker Kishon immer pointiert antwortete. Als ich ihn etwa fragte, wie er die gewiss hohen Einnahmen seiner Bestseller anlegte, sagte er: „Ich lege mein Vermögen in der israelischen Einkommenssteuer an. Ich gehöre in meinem Finanzamt zur Abteilung Schwerindustrie und muss 110 Prozent Steuern zahlen.“

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Warum schreiben Sie?

„Warum schreiben Sie dann überhaupt noch Bücher?“

„Wer sagt Ihnen, dass ich noch eins schreibe? Ich habe in 30 Satirebänden alle Situationen dargestellt, die man als Satiriker beschreiben kann.“ Und dann fügte er noch an: „Im Übrigen hat alles, was ich Ihnen erzähle, keinen Wert.“

„Warum?“

„Weil ich schon mindestens zehn Mal aufgehört habe zu schreiben. Ich höre jedes Jahr zu schreiben auf. Wie ein Kettenraucher, der ständig zu rauchen aufhört.“

Kishon war drei Mal verheiratet, seine erste Frau war Wienerin, die zweite, eine Israelin, wurde in seinen Satiren als „beste Ehefrau von allen“ berühmt. Und auch Lisa, die dritte, ist Österreicherin.

Lisa Kishon-Witasek, selbst Schriftstellerin, lebt in Wien und im Schweizerischen Appenzell, wo ich sie diese Woche erreichte. „Ich bin dem Schicksal wahnsinnig dankbar, dass ich diese Zeit mit Ephraim verbringen durfte“, sagt sie. „Das war das große Geschenk meines Lebens.“

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Er würde verzweifeln

Lustig sei er nicht gewesen. „Satiriker sind ernste Menschen“, erklärt sie. „Die Belastung durch den Holocaust war bis zuletzt präsent, hat er doch viele Angehörige verloren. Seine große Kunst war es, seine Trauer und seine Tiefe in Humor umwandeln zu können.“

Die aktuelle Situation in Israel „würde ihm das Herz brechen“, meint Kishons Witwe. „Er hat Israel geliebt und würde daran verzweifeln, dass das Land nach den Gräueltaten des 7. Oktobers in der Welt als Aggressor hingestellt wird.“

„Ich lebe mit ihm“

Ephraim sei auch heute noch ein Teil von ihr. „Das Besondere an ihm war seine altösterreichisch-jüdische Lebensweisheit und seine umfassende Bildung. Er fehlt mir ununterbrochen. Ich lebe auch heute noch mit ihm.“

Beim letzten Interview, das ich mit Ephraim Kishon führte – es war aus Anlass seines 80. Geburtstags –, zeigte er auf seine um 32 Jahre jüngere Frau und sagte: „Ich musste Lisa mein Ehrenwort geben, dass ich lange leben werde. Zum Geburtstag wünsche ich mir, mit ihr gesund, reich und glücklich zu sein. Mit anderen Worten, es soll alles so bleiben, wie es ist.“

Dieser Wunsch ging leider nicht in Erfüllung, Ephraim Kishon starb fünf Monate später an einem Herzanfall.

georg.markus