Doris Lessing: Erst wer lebt, kann schreiben
Von Peter Pisa
Sie war immer bemüht, zu ihrem eigenen Vergnügen zu schreiben. Aber es ging ihr immer ums Leben:
„Man muss so leben, dass das Schreiben daraus entsteht.“
Doris Lessing ist Donnerstag gestorben. 94 war sie. Als „Epikerin weiblicher Erfahrung“ wurde sie 2007 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet.
Eine umstrittene Wahl, auch weil damals ihre beste Zeit längst zurück lag.
Früher Klassiker
Mit ihrem experimentellen Hauptwerk „Das goldene Notizbuch“ aus 1962 war die in Persien als Tochter eines Kolonialoffiziers geborene und in Rhodesien aufgewachsene Doris Lessing zur Heldin der – weiblichen – Jugend gewachsen. Ein feministischer Klassiker über intellektuelle „freie“ Frauen.
Rebellisch sei sie schon als Kind gewesen, erzählte sie oft. Sie habe unter dem im Krieg verwundeten Vater ebenso gelitten wie unter der strengen Mutter: „Deshalb habe ich mich wie automatisch gegen jede Form von Autorität aufgelehnt.“
Ab den 1940er-Jahren waren ihre Bücher voll mit sozialen Themen. Mehr als 50 sind es insgesamt geworden. Es geht um das friedliche Miteinander, es geht oft um das Zusammenleben zwischen Frauen und Männern.
Sie war Atheistin. Sie war Kommunistin, aber von der Partei distanzierte sie sich bald. Im Alter mied sie politische Bewegungen überhaupt. Lieber beschäftigte sie sich mit dem Sufismus.
Erlebt hat Doris Lessing reichlich, um schreiben zu können. 1939 hatte sie einen Offizier geheiratet. Zwei Kinder, mit denen sie sich später ausgesöhnt hat, erinnern daran. 1944 heiratete sie den deutschen jüdischen Emigranten Gottfried Lessing, um ihn vor der Ausweisung zu bewahren.
In der Bücherwelt fiel sie 1949 erstmals stark auf. Damals übersiedelte sie nach England, und ihr Roman „Afrikanische Tragödie“ (= „The Grass Is Singing“) über eine verbotene schwarz-weiße Liebe erschien.
„Sie hat immer ihr Ding gemacht“, hatte Doris Lessings deutscher Verleger nach der Nobelpreis-Vergabe in die Mikrofone gesagt. Das tat sie bis zuletzt, und das war mitunter verwirrend.
Zur Versöhnung
Vor sechs Jahren erzählte die Schriftstellerin von seehundartigen Frauen, so genannten „Spalten“, denen der Wind Kinder machte ...
Danach, da war sie fast 90, schenkte sie ihren Eltern „Alfred und Emily“.
Sie hatte ihnen verziehen, sie hatte sie lieb.
Doris Lessing erinnerte zwar daran, als Vater in der Kolonie seinen Beinstumpf mit Socken gepolstert hatte und Mutter grob und lieblos war. Aber in einem Teil des Romans erfand sie ihren Eltern ein glücklicheres Leben in England: Vater züchtete Pferde.