Nichts war bei Oskar Werner "angekokelt"
Von Peter Pisa
Es ist wie in "Playback", jener Columbo-Episode aus dem Jahr 1975, in der Oskar Werner mitspielte, aber seine Synchronstimme wurde nicht verwendet.
Jemand anderer sprach. Das war arg.
In "Der traurige Prinz" ist das ähnlich. Zwar sieht man Oskar Werner deutlich vor sich, wie er Fernet Branca in sich hineinschüttet, um – seine Worte – den Magen bereit zu machen für ein paar Flaschen Veltliner.
Aber selten hört man seine Stimme (obwohl er die meiste Zeit redet).
Wenn er über Liz Taylor sagt, sie sei "a fade Powidl" gewesen – ja, das passt zu ihm. Oskar Werner konnte ziemlich ordinär werden.
Und die Aufregung, wenn jemand das Wort "Kartoffel" verwendete anstatt Erdäpfel ... sie entspricht der Wahrheit.
Zehn Schilling Strafe mussten die Besucher in seinem Haus über Vaduz zahlen, wenn sie aufs Wienerische vergaßen.
Aber "angekokelt"? Einer aus Gumpendorf kokelt nicht. Oskar Werner hätte "ang’sengt" gesagt, weil er nicht wo ang’rennt ist. Er hat auch gewiss nicht vom "Freund und Zwetschkentröster" gesprochen, sondern vom -röster.
Entführt
Davon abgesehen – sprich: nach ein, zwei Wutanfällen – erfüllt "Der traurige Prinz" den Traum einer Generation (übertreiben wir ausnahmsweise):
Dass man von Oskar Werner in dessen Villa entführt wird. Er kocht, singt, raucht (das brennende Ende im Mund), erzählt Anekdoten.
Aber es passiert etwas, das oft passiert, wenn man die aus der Ferne Angebeteten näher kennenlernt: Sie sind nicht auszuhalten.
Als der Schauspieler Michael Degen 1983 in Vaduz Theater spielte, Strindberg, passte ihn Oskar Werner ab – und nahm ihn mit. Die beiden hatten vorher nie Kontakt miteinander gehabt.
Zwei Hamlets.
Wobei der 61-Jährige (ein Jahr vor dem tödlichen Herzinfarkt) dem 51-Jährigen vorkam wie ein gebrochener Dänenprinz, der irgendwie überlebt hatte; todunglücklich, weil er nie mehr jung sein kann.
Michael Degen ist trotzdem anfangs entzückt. Auch ihm war Oskar Werner in Film und auf Bühne Vorbild.
Er lauscht den Erzählungen über Burgtheater, Krieg, über Werner Krauß, Josef Kainz, Simone Signoret ... Die Launenhaftigkeit des Gastgebers wird von Flasche zu Flasche abrupter.
Oskar Werner ist höflich, ist zornig, bescheiden, eingebildet, jammernd, losgelöst, provokant, nie lallend, immer konzentriert, mitunter erbärmlich: wenn er verrät, dass er in ein Wirtshaus ging und an der Budel Veltliner bestellte, aber keinen Wein bekam – er stand nämlich irrtümlich in einem Geschäft für Damenunterwäsche.
Michael Degen will gehen. Ihm reicht’s. Es wird nachgeschenkt. Er mischt sich ein: "Weshalb gehen Sie so barbarisch mit Ihrem Leben um?" Schweigen.
"Wir leben ewig" heißt es in einem jiddischen Lied, das Oskar Werner einfällt. (Allerdings war es ein Lied gegen die Nazis.) Erst am nächsten Morgen wird Michael Degen zum Hotel gebracht.
Mehr als 30 Jahre sind vergangen, Weil die Erinnerung ein Luder ist, ist "Der traurige Prinz" sicherheitshalber ein Roman – mit Oskar Werners Abschiedsworten: "Werden Sie nie so wie ich, nie".
Jetzt bringt er einen sogar als Romanfigur zum Schluchzen.
KURIER-Wertung:
INFO: Michael Degen: „Der traurige Prinz“ Rowohlt Berlin. 256 Seiten. 20,60 Euro. Das Buch erscheint am 6. März.