Kultur

"Liliom": Eine hart-zarte Naturgewalt

Irgendwann kommt dieser Moment. Das Mundwerk tönt und blökt und kraftmeiert noch vor sich hin ... und in den Augen steht die nackte Angst. Spätestens hier wird klar, dieser Liliom ist mehr als ein Klischee.
Freilich, Nicholas Ofczarek erfüllt alle Erwartungen. Er poltert und tobt über die Bühne; eine Naturgewalt mit struppigem Haar und schlecht sitzenden Hosen. Und ist doch immer hart-zart, bittersüß. Ja – man versteht, warum seine arme Frau nicht von ihm lassen will, und das will was heißen.
Regisseurin Barbara Frey verzichtet in der ersten Hälfte ihres „Liliom“ am Wiener Burgtheater auf Komik und Praterseligkeit, und erzählt dafür viel über die Beziehung zwischen den beiden Liebenden. So viel man zwischen den Zeilen eben erzählen kann. Denn, er: ein aufbrausendes Raubein, sie: ein widerspenstig-trotziges Mädel. Gesprochen wird nicht viel, über Gefühle schon gar nicht. Ofczarek und Katharina Lorenz spielen das Paar als energetische Antipode – seine Hitze gegen ihre Kühle –, und schaffen es trotzdem, die Kraft zu vermitteln, die sie so fatal aneinander bindet.

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Stumm

Ihr Bekennen zueinander ist auch eine Absage an die unfreundliche Umwelt. An die bürgerlich-konventionellen Vorstellungen der naiven Marie (Mavie Hörbiger), das egoistische Profitstreben der Frau Muskat (Barbara Petritsch). Eine große, eine stumme, eine unmögliche Liebe. Und eine unsichtbare: Liliom kann sich nur alleine darüber freuen, dass er Papa wird; Julie zeigt ihm ihre Gefühle am deutlichsten in einem unbeobachteten Augenblick nach seinem Tod, indem sie sein Hemd nach oben und ihre nackte Brust an seinen nackten Rücken drückt.

Konventionell

So reduziert das Stück beginnt – unterstützt auch von Bettina Meyers Bühnenbild: ein konventioneller Rummelplatz ohne folkloristische Späßchen –, es geht dann Wohl oder Übel ans Märchenhafte und Komische. Nach jener düster-schwebenden Szenen an den Bahngleisen, in der Liliom erst trotzig stampfend wie ein Kleinkind sein Geld verspielt und sich dann zum Selbstmord gezwungen sieht, muss er sich vor dem Konzipisten verantworten.
Der himmlische Beamte (Peter Matic) residiert im WC-Wagen des Rummelplatzes und hört Schlagermusik. Der Tonfall ist amikal, der Schmäh rennt. 16 Jahre im Fegefeuer fasst Liliom aus, und darf dann für einen Tag zurück auf die Erde.

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Um Gutes zu tun – natürlich, man glaubt ihm die gute Absicht, aber es gelingt nicht; und stattdessen wundern sich Mutter und Tochter am Schluss gemeinsam darüber, dass man geschlagen werden kann, ohne dass es weh tut. So plausibel Franz Molnars 1909 uraufgeführte Vorstadtlegende über weite Strecken umgesetzt wurde, dieses Rätsel kann dann auch Freys Inszenierung nicht lösen. Genau so wenig wie sie eine radikal neue, aufrüttelnde Neuinterpretation des Stoffes schafft.

Aber Nicholas Ofczareks brutal-schwärmischen Liliom und Katharina Lorenz’ kühle Julie, die gschnappige Marie, wie Mavie Hörbiger sie gibt, und Barbara Peritschs herrlich rabiate Frau Muskat – außerdem Daniel Sträßer als Ficsur, Brigitta Furgler als Frau Hollunder, Jasna Fritzi Bauer als Luise, Michael Masula als Wolf Beifeld u. a. – die muss man schon gesehen haben. Das Premierenpublikum bedachte sie am Ende eines kurzweiligen, stimmigen Abends (ca. zweieinhalb Stunden Spielzeit) mit großem Applaus.

Fazit: Konzentration aufs Wesentliche.

Stück: Franz Molnars „Liliom“ – 1909 in Budapest uraufgeführt – wurde 1913 in der Fassung von Alfred Polgar erstmals in Wien gespielt. Theaterlegenden wie Paul Hörbiger, Josef Meinrad und Curd Jürgens haben den Liliom schon gespielt.

Inszenierung: Kommt v. a. in der ersten Hälfte ohne Folkloristisches aus.

Schauspieler: Sehenswert.

KURIER-Wertung: **** von *****