Kultur

Nao: "Nicht ganz ordentlicher Funk" statt Jazz-Perfektion

Es gab Zeiten, da stand Nao um fünf Uhr früh auf, um die Stimme zu trainieren. So fordernd war ihr Jazz-Studium an der renommierten Londoner "Guild Hall School Of Music", dass ihr das Singen – als Kind das Wichtigste in ihrem Leben – kaum mehr Spaß machte.

"In dieser Schule kommen die besten Musiker Europas zusammen", erzählt die Britin im Gespräch mit dem KURIER. "Es herrschte so ein starker Konkurrenzkampf, dass ich ständig das Gefühl hatte, noch mehr üben zu müssen, um mithalten zu können. Dabei wurde mir klar: In der Musik hat Perfektion keinen Wert. Du kannst sie nicht mit Noten bewerten. Ich liebe Björk, weil sie so einen einmaligen Stil hat. Aber wenn ich in diesem Umfeld Lehrerin gewesen wäre, hätte ich ihr vermutlich eine schlechte Gesangs-Note gegeben. Es ist immer die Interpretation und das Gesamtbild, das dir ans Herz geht, wenn du Musik hörst – nie der perfekt getroffene Ton."

Avant-Soul

Neo Jessica Joshua, wie die 29-Jährige bürgerlich heißt, hat sich trotzdem durchgebissen und das Studium beendet. Nur um diese Ansprüche danach gleich über Bord zu werfen und ihren eigenen Stil zu finden.

Jetzt ist ihr Debüt-Album "For All We Know" erschienen. Kritiker nennen den Cocktail aus Soul, Funk und Elementen der elektronischen Musik "Avant-Soul". Sie nennt ihn "Wonky Funk" – "nicht ganz richtigen Funk".

"Das ist mir eingefallen, weil mich immer alle fragten, was ich mache. Ich bin ein Fan von Prince und davon, wie er Gitarren einsetzt. Ich liebe Michael Jacksons Gesangsharmonien, aber auch Frank Ocean und James Blake. Ich bin mit vielen Geschwistern aufgewachsen, die Drum ’n’ Bass, UK Garage und Grime gehört haben. Auch das hat mich beeinflusst. Also ist es Funk – mit schrägen Untertönen."

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Viel Mut, sagt Nao, habe es gebraucht, ihr eigenes Album auf die Beine zu stellen. Schon alleine, weil sie schüchtern ist. Aber auch, weil sie sich nach dem Studium eine beachtliche Karriere als Session-Sängerin aufgebaut hatte.

"Ich habe mit Kwabs und Jarvis Cocker gearbeitet, sehr viele Gigs mit einem Pop-Programm bei Hochzeiten und Werbe-Jingles wie zum Beispiel den für den Eurostar-Zug gesungen. Das lief sehr gut, und es ist nicht leicht, seinen Unterhalt nur mit dem Singen verdienen zu können. Aber um Songs zu schreiben, brauchte ich Zeit und musste allen meinen Stammkunden sagen: ,Ruft nicht mehr an, ich singe keine Sessions mehr‘ – ohne zu wissen, ob ich mit meinen eigenen Songs je irgendein Einkommen haben werde."

Keine Fiktion

Das hat sich schon geklärt: Nao ist mit "For All We Know" in Europa genauso erfolgreich auf Tour wie in den USA. In ihren Songs widmet sie sich ganz der Liebe. Jeder einzelne handelt von realen Partnern. Wer die sind, verrät sie allerdings nicht.

"Es kommt vor, dass sich manche in meinen Songs wiedererkennen. Aber dann sage ich immer: ,Nein, nein, der handelt nicht von dir!’ Denn meine Gefühle ändern sich ja auch. Und das, was ich gespürt habe, als ich den Song schrieb, muss drei Monate später nicht mehr stimmen. Aber meinem jetzigen Partner sage ich manchmal, wenn er sich niedergeschlagen fühlt: ,Hör dir diesen Song an. Heute ist er für dich!’"