Nachruf auf John le Carré: Diesseits von Gut und Böse
Von Georg Leyrer
Er gilt als der größte Autor des Spionageromans, und er machte aus dem einst gerne gering geschätzten Genre hohe Kunst. Aber John le Carré schrieb über mehr als das Staatengerangel im Schatten der Diplomatie, über mehr als den Kalten Krieg und seine mit dem Lineal gezogenen Fronten.
Sein wirkliches Thema, schrieb Historiker Timothy Garton Ash einmal, ist „das endlos täuschende Labyrinth der menschlichen Beziehungen: Der Betrug, der eigentlich eine Art Liebe ist, die Lüge, die eine Art Wahrheit ist, gute Menschen, die einem schlechten Anliegen dienen, und schlechte, die einem guten dienen.“
Mehr als sechs Jahrzehnte schrieb le Carré über die menschlichen Zweikämpfe. Und da machte es auch weniger, dass sich in diesem starken halben Jahrhundert die Weltpolitik drei Mal um sich selbst gedreht hat, bis alles am Kopf stand, was die Spione des Kalten Krieges gelernt hatten. Zuletzt, beim 25. Roman des Briten, „Federball“, könnte ein Spion einen unsauberen, vom Kreml geschützten russischen Oligarchen beseitigen. Doch die Trump-Regierung verhindert das – Russland gegen Amerika, das war einmal.
Als der am 19. Oktober 1931 geborene David John Moore Cornwell noch selbst für den britischen Geheimdienst tätig war – 16 Jahre lang als kleiner Agent des Inlands- und des Auslandsgeheimdienstes – war die Welt noch weniger schattiert. Unter seinem eigenen Namen durfte er – phasenweise zugleich als Diplomat, Spion und Spionageromanautor tätig – nicht schreiben.
Ruhm
Aber schon mit seinem dritten Buch, „Der Spion, der aus der Kälte kam“, erlangte er als John le Carré Bestseller-Status und Kritikerlob. Ab 1964 dann war er Vollzeitautor – und löste die Genre-eigenen Gewissheiten zunehmend auf. Gut und Böse, Richtig und Falsch, das alles war in seinen Büchern situationselastischer, als es die einander gegenseitig kalt anstarrenden Nationen wahrhaben wollten. Seine Handlungsstränge waren derart ineinanderverwoben, dass man sich am Schluss, wenn alles aufgedröselt wurde, verdutzt die Augen rieb.
Aber die Komplexität war immer leserfreundlich serviert: Er schrieb das, was die Amerikaner „page turner“ nennen, Bücher, die man in großen Happen konsumiert wie einen Blockbusterfilm.
Er zeigte Spione (wie George Smiley, unter anderem auch in „Dame, König, As, Spion“, 1974) als einsame, zerrissene Figuren.
(Über Frauen lernte er erst spät zu schreiben.)
Dafür kundig über jene Bereiche, die zu den neuen Fronten in den vielen kalten Kriegen wurden, die auf den Niedergang der Sowjetunion folgten. Waffenhandel, Drogen, das explosive Gebräu im arabischen Raum – „meine Welt, die des Kalten Krieges, war eine weichere“, sagte er.
Zuletzt hielt er sich auch nicht mit politischer Kritik zurück, am Irak-Krieg, an den Populisten in Polen, an Trump, am Brexit.
„Die meisten meiner Bücher handeln tatsächlich von ein und derselben Frage: Was sind wir unserer Menschlichkeit schuldig?“, sagt er. Dazu muss man diese Menschlichkeit erst in allen ihren Verletzlichkeiten beschreiben. Das konnte er wie kaum ein anderer. Nun ist der Autor 89-jährig an einer Lungenentzündung gestorben.